Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
FOTOS: RUDI MEISEL/VISUM; NIKOLSKYI/NEWS PICTURES

M


it dem Februar kamen die Or-
kantiefs nach Deutschland.
Bäume brachen, Flüsse schos-
sen über die Ufer, Inselstrände
versanken im Meer. Nur weni-
ge trauten sich noch aufs Was-
ser. Es hat immer etwas Faszinierendes,
zu beobachten, wenn dann der Bug eines
Schiffes durch die schäumende Welle geht.
Bei Gerhard Schröder, 77, war es der


  1. Januar, als er beschloss, wieder einmal
    gegen den Strom zu schwimmen. Als er mit
    einem Halbsatz einen Sturm entfesselte.
    Und als er sich und auch die, die es bislang
    gut mit ihm meinten, zum Schäumen
    brachte. Orkantief Gerhard. „Und ich hofbrachte. Orkantief Gerhard. „Und ich hofbrachte. Orkantief Gerhard. „Und ich hof--
    fe sehr, dass man endlich auch das Säbel-
    rasseln in der Ukraine einstellt“, sagte
    er mit der immer noch vertrauten, vom
    Rotwein gebeizten Stimme. Es waren nur
    sechs Sekunden „Schröder“ im Original-
    ton, eingebettet in eine durchaus feurige
    und auch kundige Analyse dessen, was sich
    mit dem Aufrücken russischer Truppen
    an den Grenzen der Ukraine abspielte – sie
    haben gereicht, um ihn, den Altkanzler, in
    Verschiss zu bringen. Wieder einmal.
    Der Mann, der uns aus 16-jähriger Hel-
    mut-Kohl-Herrschaft erweckt hatte, der uns
    vor dem Irakkrieg bewahrte („Solidarität
    ja, Abenteuer nein“), der den Atomausstieg


einleitete, der Ehe für Homosexuelle den
Weg bereitete und eine Jahrhundertreform
durchfocht, gilt vielen heute als „Blamage
für Deutschland“. Ein politischer Lobbyist,
einer, der unmoralische Angebote nicht nur
annehme, sondern mit ihnen posiere. „Gas-
Gerd“ eben. Man solle dem Ex-Kanzler Mit-
arbeiter, Fuhrpark und Büro streichen oder
gleich zurückfordern (407000 Euro im Jahr),
heißt es aus ranghohen Politikerkreisen.
Ein richtiger Altkanzler würde in diesen
Zeiten zu wahrer Elder-Statesman-Hoch-
form auflaufen! Er könnte als Russen-Ver-
steher seinem Land und seinem Nachfolger
beim Verhandeln helfen, Frieden schaffen,
ausgleichen. Doch was tut unser Ukraine-

Kritiker? Er gießt Öl ins Feuer. Er haut einen
Spruch raus, um sich selbst noch einmal die
Gewissheit eigener Schlagkraft zu beweisen.
Manche sagen, er spreche pro domo. Für den
Kreml, heißt das, für den, der ihm sein schö-
nes Leben finanziert und Kritiker der eige-
nen Politik wegsperrt. Kanzler Olaf Scholz,
der einmal Schröders Generalsekretär war,
nennt inzwischen nicht einmal mehr seinen
Namen. SPD-Chef Lars Klingbeil, der einmal
sein Mitarbeiter war, drängt ihn, wenigs-
tens jetzt Ruhe zu geben, wo sich Europa vor
einem Krieg fürchte und der Neu-Kanzler
diplomatisch versuche, mit Moskau und
Kiew ins Gespräch zu kommen. Viele sind
von ihm enttäuscht. Selbst engste ehe-
malige Mitarbeiter haben sich abgewandt.
Gerhard Schröder ist eine fleischgeworde-
ne Provokation. Und er versteht die ganze
Aufregung nicht: „Mein Leben, nicht eures“,
gibt er an und hängt lachend Meisenknö-
del in die Bäume seines Gartens.
Gelegentlich sieht man ihn im „Roma“,
beim Stammitaliener in Hannover. Russ-
lands Honorarkonsul Heino Wiese hält ihm
die Treue, der Drogerie-Rossmann, der Hör-
geräte-Kind und der Bauunternehmer Pa-
penburg. Oft säßen jetzt Russen an seinem
Tisch, erzählt man sich. Möglicherweise
haben die Leute nur nicht erkannt, dass es
bloß der Promi-Koch Alfons Schuhbeck war.

Er agierte schon in Niedersachsen mit breiter Brust. Schröder 1986 zu Hause in Immensen


„ICH STEHE NICHT


IN RUSSISCHEN


DIENSTEN“, SAGT ER.


„GAS-GERD“,


DIENSTEN“, SAGT ER.


„GAS-GERD“,


DIENSTEN“, SAGT ER.


SAGEN DIE ANDEREN


36 24.2.2022

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