Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
Ulrike Posche schrieb einmal,
„Golf spielen, wie andere Rentner,
wird Schröder nie.“ Heute hat er
ein Handicap von 27,7. Tja! FOTOS: SO-YEON SCHRÖDER-KIM/INSTAGRAM

Wippe zwischen beiden zu sein, ein dop-


pelter Narzissmus sozusagen. „Gerhard


Schröder ist ein unabhängiger Experte und


ehrenhafter Mann“, erklärte der Präsi-


dent soeben in Moskau. Inzwischen erfüllt


der Mann Aufsichtsmandate bei Nord


Stream 1und Nord Stream 2, beim russi-


schen Staatskonzern Rosneft und bald


auch bei Gazprom selbst. Und immer noch


sagt er „Ich stehe nicht in russischen Diens-


ten.“ Die Gazprom-Aktie steht an der Frank-


furter Börse bei 6,41 Euro. Tendenz fallend.


Ist er mit ihr aus der Welt gefallen, wenn


er im russischen Panzerrasseln keine


Aggression erkennen kann? Oder denkt er


nur wie damals bei den Hartz-Kritikern:


„Wartet’s ab!“ Sigrid Skarpelis-Sperk, ge-


nannt „Triple S“ – erinnert sich noch je-


mand? Sie war damals beim linken SPD-


Flügel das, was Kevin Kühnert heute ist.


Die Linken quälten ihn so lange, bis er


in Neuwahlen floh. Und heute gilt seine


Agenda-Reform als Exportschlager. Gut,


nicht bei allen, aber die Erfahrung, dass erst


die Geschichte ihm recht gibt, hat sich ein-


gebrannt. Daraus folgt: Kritik von Partei-


freunden – ihm doch egal! Dass Olaf Scholz


von den „privatwirtschaftlichen Interessen


eines ehemaligen Politikers“ sprach, muss


ihn dennoch getroffen haben. Wie oft hat


er sich gerade für den ins Zeug gelegt!


Freunde! Das war schon in seiner Kind-


heit ein schwieriges Thema. „Die Bürger-


lichen riechen, wenn man von unten


kommt“, erklärte Schröder einmal. Und das


Unten, von dem er kam, lag beinahe noch


unterunterunter der Grasnarbe von Bexten im Lipper der Grasnarbe von Bexten im Lipper-


land. Dort hauste er mit der älteren Schwes-


ter und drei kleinen Geschwistern aus der


zweiten Ehe der Mutter Erika in einem


Behelfsheim. Das Röcheln des tuberkulös


dahinsiechenden Stiefvaters immer im


Ohr. Die Robustheit, dort am Rande eines


Sportplatzes meist hungrig ins Bett zu ge-


hen und gut gelaunt wieder aufzustehen,


die hatte er von seiner Mutter geerbt. Sie


plackte das Geld für sich und die Rangen


zusammen. „Geh inne Schule“, sagte sie.


Mehr Regel war nicht drin. Und die Hütte


war auch viel zu klein für einen morali-


schen Korridor. Nicht einmal Pfarrer Hun-


dertmark sprach mit dem jungen Schröder.


Für solche wie ihn war der Vikar zuständig.


Gerhard Schröder musste lange warten,


bis die Besser-Riechenden ihn auf dem


Platz mitspielen ließen. Und erst mit dem


Sport kam der Respekt. Dieses einmal er-


lebte Empfinden der Ablehnung, das Ge-


fühl, allein auf sich gestellt zu sein, hat bei


ihm jede Verletzung in Trotz verwandelt


und jeden Schmerz in Mut. Mit den beiden


Wanderkameraden „Ihr könnt mich alle


mal“ und „Euch werd ich’s zeigen“ stapfte
er fortan durchs Leben. Belastende Fragen
des Gewissens? Eher nicht. Die lagerte er
unterwegs der Einfachheit halber aus. Auf
seine Büroleiterin Sigrid Krampitz und auf
seine Ehefrauen No. 3 und No. 4. Sie mahn-
ten im Ernstfall: Gerd, das macht man nicht.
„Ihr (Doris Schröder-Köpf) Sinn für Gerech-
tigkeit und Anstand waren mir Orientie-
rung ...“, schreibt er in seiner Autobiografie.

A


ndersherum ist es übrigens auch so,
dass Schröder riechen kann, wenn
einer von unten kommt. Bei Clinton
war das so. Und bei Putin, dem Arbeiter-
kind aus der Leningrader „Kommunalka“.
20 Quadratmeter für die Familie, Küche
und Klo mit den Nachbarn. Vielleicht kein
Zufall, dass alle drei Juristen wurden.
Wladimir und Gerhard sind sich im
Jahr 2000 nahegekommen. Eine Flussfahrt
auf der Elbe bei Dresden, elegante Dinner,
die Gattinnen in Lang und Kurz. Man
konnte mit den Putins Deutsch sprechen,
Gott sei Dank, denn mit Dolmetschern am
Tisch kommt einfach keine Stimmung auf.
Damals schien es, als würde dieser noch
schmale und schüchtern wirkende Mann
den selbstbewusst-brachialen Schröder
bewundern, ja, sogar imitieren. Nach
einem Besuch in der Kanzler-Villa am Gru-
newald lagen sie sich zum Abschied erst-
mals in den Armen. Dann kam die Ein-
ladung zum orthodoxen Weihnachtsfest
in Putins Datsche. Datsche – das hört sich
niedlich an, ist es natürlich nicht. Sie tafel-

ten fürstlich unter Lüstern, Putins Töchter
und Schröders Tochter sangen Weihnachts-
lieder, es gab Geschenke – ein Jagdgewehr
für Gerd, für Doris einen Pelzmantel –,
man fuhr im Pferdeschlitten und produ-
zierte hinreißend schöne Bilder.
Abends verzogen sich die Herren dann in
die Sauna. Das ist offenbar so ein deutsch-
russisches Männer-Muss-Ding. Kohl und
Jelzin waren auch in der Sauna. Und ein
Kalauer muss erlaubt sein: Es schweißt
offenbar zusammen. Irgendwann beobach-
teten die beiden Frauen, dass die Feuerwehr
anrückte. Das Saunahaus brannte, Putin
und Schröder flohen aus den Flammen.
Einigermaßen beeindruckt erzählte Putin
später: „Aber erst hat Gerhard noch sein
Bier ausgetrunken.“ Was für ein Spaß!
Putin trinkt auch außerhalb der Sauna
kaum, trotzdem hatte Schröder gleich einen
Narren an ihm gefressen. Denn bei ihren
Treffen löcherte der acht Jahre Jüngere ihn
mit Fragen: „Gerd, was denkst du hierüber,
und was denkst du darüber?“ Über Homo-
sexuelle, über den Umgang mit Kritikern,
deutsche Einheit, ökonomische Fragen,
Amerika. Schröder konnte das Gefühl haben,
dass Putin sein festgefrorenes Land aufdass Putin sein festgefrorenes Land aufdass Putin sein festgefrorenes Land auf--
tauen, nein, grundlegend verändern wollte
und dafür ihn, den Gerd-Kanzler, als Blau-
pause, als „Blaupauser“ nehme. Wer fühlte
sich da nicht geschmeichelt? Wieso sollte so
einer kein Demokrat sein? Und vor allem:
Warum sollte er ihm nicht dabei helfen?
„Wandel durch Annäherung“ – das hatten
doch schon die SPD-Granden so gemacht!
An der Annäherung arbeitet Schröder
bis heute. Nur der Wandel blieb aus. Im
Frühjahr 2014 annektierte Russland die
ukrainische Halbinsel Krim. 2017 unter-
schrieb Schröder bei Rosneft. Irgendwann
dazwischen trennten sich die Schröders,
Gerd und Doris.
Kinder und Anstand blieben bei ihr. 2

„DIE BÜRGERLICHEN


RIECHEN,


WENN MAN VON


UNTEN KOMMT“
Gerhard Schröder

Kartoffeln brät
er ärmellos und
mit Schuhbecks
Bratkartoffel-
Gewürz. Seine
fünfte Frau,
Soyeon Schröder-
Kim, fotografiert
ihn dabei

38 24.2.2022

Free download pdf