Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1

FOTO: HERBERT MEYRL/WESTEND61


E


in Problem aufzuessen ist nicht ganz
billig. Acht Euro kostet der halbe
Liter Krabbenessenz, entwickelt
vom Berliner Start-up Holycrab. Der
Sud besteht aus Chinesischen Woll-
handkrabben, gefangen von deut-
schen Fischern und schonend gegart
bei 80 Grad. „Essen mit Impact“ sei die
Essenz – was gut für den Teller sei, sei auch
gut für die Umwelt. Denn Wollhandkrab-
ben sind eine sogenannte invasive Art, eine
ortsfremde Spezies also, die per Definition
Schäden verursacht. Anfang des 20. Jahr-
hunderts gelangten die Panzertiere mit
Schiffen aus Ostasien nach Europa, wo sie
sich seither zu Hause fühlen.
Die Krabbensauce kommt gut an: Hob-
by- und Profiköche schätzen sie als Basis
für Seafood-Gerichte, oder wie einer
der Rezensenten schreibt: „Frutti di Plage“.
Bald schon sollen bei Holycrab weitere
Plagegeister im Topf enden: eingeschlepp-
te Süßwasserkrebse wie der amerikanische
Signalkrebs, der sich ebenfalls in hiesigen
Gewässern breit- und einheimischen
Krebsen das Leben schwer macht.
Auch der ökonomische Schaden ist im-
mens, wie ein internationales Forscher-
team um Phillip Haubrock vom Sencken-
berg Forschungsinstitut errechnet hat:
„Die globalen wirtschaftlichen Kosten in-
vasiver aquatischer Krebstiere beliefen
sich seit Beginn der Erfassung in den
1960er-Jahren auf 236 Millionen Euro.“
Bezogen auf alle übergriffigen Tier- und
Pflanzenspezies summieren sich die
Schäden auf mindestens 976 Milliarden
Euro, berichten die Experten in einer
aktuellen Publikation.

Wesentlich günstiger wäre es, die Aus-
breitung von Schädlingen zu verhindern,
solange das noch möglich sei, sagt Hau-
brock. Doch dafür wurden in den vergan-
genen 60 Jahren gerade einmal 2,5 Milliar-
den Euro ausgegeben. Und das müsse
sich dringend ändern, fordert der Biologe:
„Wurde vor der Ausbreitung von invasi-
ven Arten in Managementmaßnahmen
investiert, tauchen diese Tiere und Pflan-
zen auch nicht mehr in der Liste der wich-
tigsten wirtschaftlichen Schädlinge auf.“
Aber es sei schwierig, Verantwortliche
davon zu überzeugen, in etwas zu inves-
tieren, das noch kein Problem darstellt.
66 Tier- und Pflanzenarten, die vordring-
lich zu bekämpfen seien, führt die EU in
ihrer Liste der invasiven Arten auf; unter
anderem den Riesenbärenklau, den Mar-
derhund und die Nilgans. Die Zahl der
potenziell gefährlichen Neuspezies liege
aber weitaus höher, sagt Haubrock. Doch
von vielen dieser Arten gibt es kaum Daten
dazu, wie weit sie bereits etabliert sind und
welche Risiken sie bergen.
Wege, die fremde Arten ins Land neh-
men, gibt es viele. Mückenlarven reisen
in alten, mit Regenwasser gefüllten Auto-
reifen von A nach B. Aquarienbesitzer
setzen unliebsame exotische Fische oder
Schildkröten in deutschen Tümpeln aus.
Container- und Kreuzfahrtschiffe trans-
portieren Larven von Muscheln oder
Krebsen in ihren Ballastwassertanks über
Ozeane. Manche kommen auch selbst an-
geflogen. Die Plagegeister aufzuessen,
findet auch Haubrock, sei eine gute Idee:
„Einen Nilgansbraten würde ich gern mal
probieren.“ 2 Helmut Broeg

Eingeschleppte Tier- und


Pflanzenspezies verursachen


Schäden in Milliardenhöhe –


falls man sie gewähren lässt


INVASIVE


ARTEN?


Aus Nordamerika stammende Signalkrebse
verdrängen einheimische Krebsarten

WAS WISSEN WIR ÜBER ...

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