Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1

E


s scheint, als sehne sich mancher
Deutsche zurück in die Steinzeit. Er
entfernt Rasen und Blumenbeet
aus seinem Vorgarten und kippt
stattdessen großflächig Kies und
Schutt über seine Scholle. Er reißt
Hecken nieder und zieht an ihrer Stelle
Drahtgitterkäfige hoch, die er mit Granit
und Grauwacke füllt. Gabionen heißen
die Mauern im Baumarkt. Der Satiriker
Dietmar Wischmeyer nennt sie „Vertikal­
schotter“. Oder auch „Talibanhecken“, weil
sie für ihn „nach Kundus“ aussehen.
Solche Einöden breiten sich seit einigen
Jahren wie Unkraut in unseren Städten
und Gemeinden aus. Wer die Steingärten
erschafft, beschreibt sie als modern, elegant
und pflegeleicht. Wobei: Sie „Steingärten“
zu nennen ist viel zu euphemistisch,
schließlich impliziert „Garten“ so etwas
wie Blüten, Blätter und Bienen. Aber davon
ist in ihnen wenig anzutreffen. Der Nabu
ordnet sie deshalb lieber als „Gärten des
Grauens“ ein.
Für die Naturschützer steht fest: Unter
den Steinöden leidet das Klima. Denn bunt
gemischte Gärten absorbieren viel CO 2
und gelten als wichtige Mitstreiter im
Kampf gegen die menschengemachte Erd­
erwärmung. Etwa 17 Millionen von ihnen
zählt die Republik, fast jeder zweite Pri­
vathaushalt verfügt über einen Garten.
Knapp 900000 davon sind gemietete
Schrebergärten. Diese allein sichern ein
naturnahes Gebiet von 440 Quadratkilo­
metern. Das ist mehr als die Fläche Kölns.
Die „Gärten des Grauens“ dagegen ver­
schlingen große Mengen Energie, die in der
Regel aus fossilen Quellen stammt. Die
Steine müssen abgebaut, zerkleinert
und transportiert werden. Bevor man sie
ausbringen kann, muss ein Vlies gegen

Unkraut verlegt werden, für dessen Her­
stellung meist Erdöl verwendet wird.
Einfache Folien müssen spätestens nach Einfache Folien müssen spätestens nach
zehn Jahren erneuert werden, die alten zehn Jahren erneuert werden, die alten
bleiben als unbrauchbarer Müll zurück. bleiben als unbrauchbarer Müll zurück.
Und um die Fläche halbwegs ansehnlich Und um die Fläche halbwegs ansehnlich
zu erhalten und von Moos oder Blättern zu erhalten und von Moos oder Blättern
zu befreien, setzen ihre Schöpfer gern hölzu befreien, setzen ihre Schöpfer gern höl­
lenlaute Laubsauger und Hochdruckreinilenlaute Laubsauger und Hochdruckreini­
ger ein. Das passiert oft, denn der Glaube, ger ein. Das passiert oft, denn der Glaube,
Schottergärten seien pflegeleicht, hat sich Schottergärten seien pflegeleicht, hat sich
längst als Mär herausgestellt.längst als Mär herausgestellt.
Auch die Arten müssen büßen. Bio­Auch die Arten müssen büßen. Bio­
logen unken, viele echte Wüsten seien logen unken, viele echte Wüsten seien
lebendiger als solche Gärten. Denn mehr lebendiger als solche Gärten. Denn mehr
Fauna als ein paar Mauerasseln ist dort Fauna als ein paar Mauerasseln ist dort
kaum zu entdecken. Für Insekten und kaum zu entdecken. Für Insekten und
Vögel sind solche Areale ähnlich un­Vögel sind solche Areale ähnlich un­
attraktiv wie Betonflächen. Tiere in attraktiv wie Betonflächen. Tiere in
den Siedlungsgebieten vernetzen im den Siedlungsgebieten vernetzen im
Alltag Gärten, Parks und weitere GrünAlltag Gärten, Parks und weitere Grün­
flächen zu einem großflächigen Lebensflächen zu einem großflächigen Lebens­
raum für ihre Nahrungssuche und Fortraum für ihre Nahrungssuche und Fort­
pflanzung. Wird er durchbrochen, wirkt pflanzung. Wird er durchbrochen, wirkt
sich das schlecht auf ihr Leben und ihren sich das schlecht auf ihr Leben und ihren
Bestand aus.Bestand aus.
Mit ihrer Rodung legen die Stein­
zeitmenschen sich am Ende auch
noch selbst ein Ei ins Nest. Denn
Pflanzen machen die wegen des
Klimawandels immer heißeren
Sommertage und ­nächte erträg­
licher, sie verdunsten Feuchtig­
keit und kühlen dabei ihre un­
mittelbare Umgebung herunter.
Schotterflächen dagegen heizen sich
tagsüber auf und strahlen die Hitze abends
wieder ab. Sie dämpfen weder den Ver­
kehrslärm, noch schlucken sie Staub,
wie es das Blattwerk von Bäumen und
Sträuchern vermag. Und Starkregen kann
wegen der Unkrautfolie oft nicht gut
versickern ­ und flutet dann die eigenen
vier Wände.
Inzwischen entschließen sich immer
mehr Kommunen dazu, ihre Bauordnun­
gen umzuschreiben, um derart versiegelte
Flächen zu verbieten – was rechtlich an
Grenzen stößt. Die Stadt Burscheid startete
kürzlich die Aktion „Naturoase anstatt
Schotterwüste“. Hauptpreis für einsichtige
Rückbauer: 500 Euro.
Es gibt übrigens auch sinnvolle Stein­
gärten, die nah an der Natur sind und die
Artenvielfalt sogar fördern. Diese Wüste
lebt: Gärtner setzen Kies, Steine oder
Splitt gezielt ein, um einen optimalen
Standort für Pflanzen zu schaffen, die
in der Gebirgsflora heimisch sind oder
Trockenheit gut vertragen. 2

WIE VIEL LEBEN


STECKT IM


STEINGARTEN?


Von Rolf-Herbert Peters


Immer mehr Grundstücke
werden mit Kies und
Schotter umgestaltet.
Was ist davon zu halten?

24.2.20 2 2 57


G E S E LLSC HAFT


D I N G E D E S A L LTAG S I M
N AC H H A LT I G K E I T S - C H E C K

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ÖKOBILANZ


ILLUSTRATION: JAN STEINS

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