Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
Sprach Redakteurin Amelie
Graen vor dem Interview
Freundinnen darauf an, ob sie
Ratajkowski für eine Feministin
halten, bekam sie oft die Antwort:
„Die kenne ich nur nackt“

„My Body.
Was es
heißt, eine
Frau zu sein“
von Emily
Ratajkowski,
übersetzt von
Stephanie Singh,
Penguin
Random House,
240 Seiten,
20 Euro

22222


FOTO: CAROLINE TOMPKINS/THE NEW YORK TIMES/REDUX/LAIF

te ich bestimmen, wie ich mich zei-
gen wollte“, sagt Ratajkowski.
Aber auch diese Theorie hat
Schwachstellen. 2014 ließ der Künst-
ler Richard Prince Instagramfotos
von ihr drucken und in seiner Gale-
rie ausstellen. In ihrem Buch be-
schreibt Ratajkowski, wie sie sich
eines der Bilder zurückkaufte, weil
sie es nicht ertrug, es in anderen
Händen zu wissen. Vielleicht ist
einer der Gründe, wieso Emily Ra-
tajkowski so umstritten ist, also die-
ser: Sie kämpft nicht nur einen
Kampf gegen eine gesellschaftliche
Struktur. Sie kämpft ihn auch in sich,
sie verhandelt Fragen, an denen sich
die Gesellschaft seit Jahren abmüht,
wortwörtlich am eigenen Leib. Das
ist anstrengend, auch für die Men-
schen, die ihr dabei zuschauen. Denn
Ratajkowski hinterfragt mit ihrer
Widersprüchlichkeit offenkundige

Schieflagen im allgemeinen Frauen-
bild, das immer noch sexualisiert ist.
Beispiel: Instagram löscht Fotos, auf
denen weibliche Brustwarzen zu se-
hen sind, die nicht in einem Zusam-
menhang mit Stillen, Entbindung,
Kunst, Protestaktionen oder in
einem gesundheitlichen Kontext
stehen. Männer-Nippel dagegen
stellen für die Plattformbetreiber
nie ein Problem dar.
In den USA teilen sich die Mei-
nungen darüber, ob Ratajkowski
tatsächlich beim feministischen Be-
freiungsschlag helfen kann. Die be-
kannte US-amerikanische Autorin
Naomi Wolf schrieb bereits 2016:
„Ich respektiere Ratajkowskis Pers-
pektive. Aber ich wünsche mir im-
mer noch, sie könnte eine Karriere
haben und dabei ihr Shirt anbehal-
ten – wenn sie das will.“ Trotzdem
glaubt Wolf: „Ist ihr kämpferischer

Feminismus der Feminismus der
Zukunft? Wahrscheinlich.“ Journa-
listin Sophie Gilbert kritisiert in
„The Atlantic“, dass Ratajkowski nur
daran denke, wie sie von Männern
wahrgenommen werde, und sich
keine Gedanken darüber mache,
welchen Einfluss ihre Bilder auf
junge Frauen haben könnten. Und
Molly Young von der „New York
Times“ bezweifelt, Ratajkowskis
Selbstausbeutung könne ein Fort-
schritt für andere Frauen sein.

H


at sie selbst eigentlich eine
klare Definition von Femi-
nismus? „Ich finde, die gan-
ze Idee, zu sagen: ‚Dies ist Feminis-
mus, aber dies hier ist es nicht‘,
bringt dem Diskurs gar nichts. Ich
weiß nicht, wie wir das Patriarchat
beenden können. Ich weiß nicht, wie
wir Sexismus auflösen können. Ich
habe keine Lösungen. Ich habe das
Buch geschrieben, um die Macht-
strukturen zu enthüllen. Das war al-
les, was ich wollte.“
Vor einem Jahr hat Emily Rataj-
kowski ihr erstes Kind zur Welt ge-
bracht. Sylvester ist der gemeinsame
Sohn mit ihrem Ehemann, dem Film-
produzenten und Schauspieler Se-
bastian Bear-McClard. Die Schwan-
gerschaft war für sie zunächst ein
entmachtendes Gefühl. „Kontrolle
war für mich immer ein großes The-
ma. Aber wenn du schwanger bist,
hast du keine Kontrolle. Dein Körper
verselbstständigt sich in gewisser
Weise. Ich wachte morgens auf und
sah und fühlte Tag für Tag die Verän-
derungen. Es fühlte sich an, als säße
ich nicht am Steuer, sondern auf dem
Beifahrersitz“, sagt sie. Anstatt aus-
zuflippen, beschloss Ratajkowski
ihren Körper zum ersten Mal zu ak-
zeptieren, sagt sie. „Das war für mich
eine wunderschöne Erfahrung. An-
ders als alles, was ich je erlebt habe.“
Liege sie jetzt, nach der Geburt
ihres Sohnes, mit 30, abends im Bett,
fallen ihr tausend Gründe ein, für die
es sich zu beten lohnen würde, sagt
sie. Schönheit sei keiner davon. 2

Ratajkowski
verhandelt
Fragen der
Gesellschaft
wortwörtlich am
eigenen Leib

THEMA“


„KONTROLLE „KONTROLLE


WAR FÜR MICH IMMER WAR FÜR MICH IMMER


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WAR FÜR MICH IMMER


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WAR FÜR MICH IMMER


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EIN GROSSES EIN GROSSES


THEMA“


EIN GROSSES


THEMA“


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