Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
FOTO: CHRISTIAN MANG

Was macht einen Mann eher zum Verräter: der Verrat


an einer Sache oder der Verrat an sich selbst?


Als der Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobro-


wolski am Café Feuerbach in Berlin-Steglitz zu seiner


Verabredung erscheint, weiß er noch nicht, was ihm


gleich übergeben wird. Es regnet stark, dabei ist August.


Von Dobrowolski zieht den Kopf zwischen die Schul-


tern, er wirkt dadurch noch stämmiger. Der Mann dort,


der ihn nervös anstiert, muss es sein. Sie setzen sich ab-


seits an einen Tisch unter der Markise. Der Mann ist


auch Polizist. Er hat um das Treffen gebeten. Hat ge-


schrieben, er müsse ein internes Papier zeigen, das bei


ihm gelandet sei. Zögernd holt er einen Stoß Blätter aus


der Tasche, schaut sich um. Was, wenn sie hierbei beob-


achtet werden? Der Mann arbeitet hoch oben in der Ber-


liner Polizeihierarchie als Führungskraft. Die Doku-


mente, die er von Dobrowolski nun reicht, sind geheim.


Von Dobrowolski liest, streicht sich die nassen Haare


aus der Stirn, beugt sich vor. Schlagworte fallen ins Auge.


Neues Lagebild. Sicherheit im Lebens- und Wohnum-


feld. Bekämpfung von Clankriminalität.


Manche Sätze muss man zweimal lesen, um ihre Di-


mension zu begreifen. Aber wenn man sie begriffen hat,


begreift man auch, was passieren könnte, wenn dieses


Papier öffentlich wird. Wer darüber fallen kann. Da wird


in Beamtendeutsch angewiesen, in bestimmten Bezir-


ken Berlins alle, die aussehen, als könnten sie theore-


tisch zum Clanmilieu gehören, pauschal zu kontrollie-


ren. Was heißen muss: jeden, der türkisch, arabisch oder


im weitesten Sinne migrantisch aussieht. Von Dobro-


wolski liest flüsternd: „...sind auch ohne Verdacht der


Täterschaft zu behandeln wie...“ Er schaut hoch. Schüt-


telt den Kopf. „Das ist krass“, sagt er.


Der Mann nickt: „Das ist Racial Profiling, aber als An-


weisung. So was können wir doch nicht machen, oder?


Dafür bin ich nicht Polizist geworden.“


Der Beweis, dass er recht hatte, vielleicht all die Jah-


re recht hatte, Oliver von Dobrowolski hält ihn plötz-


lich in den Händen. Sein Informant versucht ein Lachen,


es klingt hoch und schrill. „Was machen wir denn jetzt


damit?“, fragt er.


@BMuethel: Der Tag an dem Sie den Polizeidienst
verlassen, wird ein guter Tag für die Polizei sein.
@Elbwaechter: Diese Menschen verdienen die Uni-
form, welche sie tragen einfach nicht.

Eine Stunde vor der Übergabe steht Oliver von Do-


browolski auf seiner Balkonterrasse im Berliner Süd-


westen, über ihm eine blasse, nicht allzu warme Sonne,
um ihn herum Stille. Der Blick reicht weit, über schma-
le Reihenhausgärten mit Trampolinen, gestutzte He-
cken bis zu einem Stadtwald hin, von Dobrowolski at-
met tief durch und sagt: „Hier ist man für sich. Das mag
ich.“ Da draußen, das muss man wissen, ist dieser von
Dobrowolski nie nur für sich. Da draußen ist er wahl-
weise: Kameradenschwein, Hassfigur, Verräter, aber
auch: eine wichtige Stimme, ein Sprachrohr, ja, für man-
che sogar: ein Held.
Von Dobrowolski hat es als Polizist, der seit Jahren öfVon Dobrowolski hat es als Polizist, der seit Jahren öfVon Dobrowolski hat es als Polizist, der seit Jahren öf--
fentlich die Polizei kritisiert, zu einiger Bekanntheit ge-
bracht und zu einiger Abneigung. Er ist immer größer
geworden, zu einem Mann schließlich, dem man skan-
dalöse Unterlagen anvertraut in der Hoffnung, dass er
wissen müsse, was zu tun sei.
Der Good Cop, der Vorzeigebulle.
Der Querulant, das schwarze Schaf.
Mit alledem wusste von Dobrowolski recht souverän
umzugehen, so jedenfalls wirkte es von außen. Aber wie
wirkt es von innen? Wie geht es ihm damit?
Denn die Debatte um die deutsche Polizei, so könnte
man es sagen, verläuft mitten durch von Dobrowolski
hindurch. Es geht um Polizeibrutalität, um Rassismus,
um Gesinnung. Um die gewaltige Frage, ob die Polizei
Teil der Lösung ist – oder selbst das Problem. Seit dem
Mord an George Floyd in den USA wird besonders hefMord an George Floyd in den USA wird besonders hefMord an George Floyd in den USA wird besonders hef--
tig diskutiert. Auch hierzulande sind Festgenommene
in Polizeigewahrsam umgekommen, sind Chatgruppen
aufgeflogen, wurden rechte Zellen in der Polizei ent-
tarnt. Allein im ersten Halbjahr 2021 sind in der Berli-
ner Polizei 28 Verdachts- und zehn Prüffälle wegen
rechtsextremer Umtriebe bekannt geworden. Eine eige-
ne Soko musste eingesetzt werden. An der Ruhruniver-
sität Bochum wurde derweil evaluiert, dass es jährlich
wohl mindestens 12000 mutmaßlich rechtswidrige
Übergriffe durch Polizisten gibt – fünfmal mehr als an-
gezeigt. Am Umgang mit Oliver von Dobrowolski, der
all das immer wieder angeprangert hat, zeigt sich, so

W


Sinnlose Gewalt
oder notwendige
Fixierung?
Es gibt bis heute
keine unabhängige
Beschwerdestelle
für mögliche
Opfer von Über-
griffen der Polizei

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