Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
FOTO: M. GOLEJEWSKI/ADORAPRESS;

raus! So denken die.“ Man könnte von Dobrowolski


unterstellen, dass er immer nur Probleme aufzeigt. Bloß


stimmt das nicht. Er schreibt gerade an einem Buch über


mögliche Lösungen, es soll im Frühjahr erscheinen. Die


Polizei müsse viel näher an die Menschen ran, viel bes-


ser verstehen lernen, wie man auf die Leute wirke, zu


deren Schutz man eingeteilt sei, findet er. Wieso nicht


Workshops mit Betroffenen von Polizeigewalt? Wieso


nicht in Kirchen, Moscheen, Synagogen sitzen?


Der Student fragt ihn: „Hast du Nachteile erfahren


durch deine deutliche Kritik an der Polizei?“ Von Do-


browolski seufzt: „Wo soll ich anfangen?“


Er ist, obwohl erst 46 Jahre alt, auf seiner 16. Dienst-


stelle. Das schaffen andere Beamte in fünf Laufbahnen


nicht. Oft hat er Probleme bekommen. Er wurde gemie-


den, gegängelt, bedroht. Er war beim Einbruchskommis-


sariat, bei den Diebstahlsdelikten, den Betrugsstrafta-


ten. Er war bei den Urkundenfälschungen, der Einsatz-


hundertschaft, beim LKA. Der LKA-Leiter habe ihn mal


zu sich zitiert, erzählt er: Ein Stimmungsmacher sei er,


ein Polarisierer! Sie wollten ihn sogar in die Einsatzzen-


trale abstellen, jenen Ort, an dem die Notrufe eingehen.


Ein Telefonjob. Ein Straflager. Als er nicht mehr konn-


te und wollte, hat sich von Dobrowolski krankschrei-


ben lassen, Depressionen, Burnout. War ein halbes Jahr


raus. Lag im Bett, starrte an die Decke, ein Mann, der als


Figur zwar immer größer, dessen Welt darüber aber im-


mer kleiner geworden war. Bis sie auf die Größe eines


Schlafzimmers passte. „Ich habe da überlegt, einfach


alles hinzuwerfen“, sagt er. Er tat es nicht.


@Hans11506986: Er ist einer der wenigen Cops die im
Görli nur auf Kollegen schauen statt nach Dealern.
@eifelprinz651:Und wenn es nicht mehr zu ertragen
ist, Ihr Dienstherr hat Ihnen eine P6 anvertraut.

Ein Novemberabend, Winter schon, Alexanderplatz.


Glühweindunst und Nullgradluft. Der Mannschafts-


wagen der Berliner Brennpunkteinheit rollt vor, Oliver


von Dobrowolski steigt aus der Seitentür. Skeptischer


Blick über dieses Wimmelbild von Stadtmitte, über


Shoppende, Schunkelnde, Kaputte, alle vereint unter der


Weltzeituhr. Eine riesige Holzpyramide dreht sich zur


Stimme von Frank Sinatra, der Platz wirkt trotzdem bru-


tal wie immer, wie von sich selbst umzingelt.


Es ist jetzt viele Wochen her, dass von Dobrowolski


die Unterlagen im Café zugeschanzt bekommen hat.


Seit 2020 ist er bei der Brennpunkt- und Präsenz-


einheit (BPE), einer mobilen Truppe, die ins Leben geru-


fen wurde, um kriminalitätsbelastete Orte in der Stadt


zu kontrollieren. Eine Streife mit Elendsgarantie, die ihm


niemand neidet. Viele müssen zur BPE überredet, fri-


sche Kräfte von der Polizeischule rekrutiert werden. Von


Dobrowolski bewarb sich freiwillig, als er las, allen, die


da mitmachten, sei nach drei Jahren eine freie Dienst-


stellenauswahl versprochen. Er hat sich auch schon ein


Revier ausgeguckt, eine ruhige Wache in einer netten Ge-


gend, nahe seiner Wohnung. Er zählt die Tage, Wochen,


Monate. „Diese Einheit“, sagt er, „ist mein Joker.“


Mit einem Kollegen patrouilliert von Dobrowolski los,


man muss ihm aus der Ferne zuschauen. Die Pressestelle


der Berliner Polizei untersagt, dass ihr Kommissar


offiziell begleitet werden darf. Der Mann vom Grog-
stand grüßt, er hat eine AK-47 auf die Wange tätowiert.
Die Polizisten ermahnen einige Maskenverweigerer,
verweisen zwei Unterschriftensammler des Platzes,
ehe ein Funkspruch eingeht, der das Team zur Charité
befiehlt, zu einer Messerstecherei. Von Dobrowolski ruft
die anderen zusammen, nicht alle hören sofort.
Was ist da los?
Tage zuvor hat von Dobrowolski von sexuellen Über-
griffen gegen Kolleginnen in der BPE erfahren. Die Vor-
fälle liegen teilweise länger zurück, mehrere der Frauen
haben sich aus der Einheit wegversetzen lassen. So er-
zählt er es, andere bestätigen ihn. Und er hätte es dabei
belassen, hätte seinen Mund halten können. Von Dobro-
wolski sagt, er habe das für sich durchgespielt. Nicht
auffallen, nicht schon wieder. Dann sagt er den Satz mit
dem Spiegel, in den er noch gucken können will. Von
Dobrowolski reicht Beschwerde ein, nennt Namen, ruft
letztlich sogar das LKA auf den Plan, das interne Ermitt-
lungen in der Einheit übernimmt. Sein Vorgesetzter wird
am Ende abberufen. „Umgesetzt“ heißt das in der Polizei.
Derselbe Vorgesetzte, mit dem von Dobrowolski mal
durch die Rudi-Dutschke-Straße gefahren war und der
gerufen hatte: Rudi Dutschke, ein Terrorist! Nach dem
werden hier noch Straßen benannt! Er selbst, sagt von
Dobrowolski, habe daraufhin vom Wochenende berich-
tet, davon, wie er mit Marek Dutschke, dem Sohn des
Studentenführers, bei der Hertha im Olympiastadion
gewesen sei. Da war der Vorgesetzte still.
Dass dieser Chef weg ist, könnte ein Sieg für ihn sein.
Aber von Dobrowolski wird seither gemieden. Kollegen
reden nicht mehr mit ihm. Einige weigern sich, gemein-
same Einsätze zu fahren. Manche reagieren bei Einsät-
zen nicht auf Ansprache. Ja, es gibt noch welche, die zu
ihm halten. Viele sind es nicht. Selbst Siege fühlen sich
für von Dobrowolski wie Niederlagen an.
Er überlegt, ob er sich der anderen noch sicher sein
kann, wenn es hart auf hart kommt. Was, wenn er in
Bedrängnis gerät und ihm niemand zu Hilfe eilt? Eigen-
sicherung sei ein großes Thema bei der Polizei, sagt er,
darauf habe er immer schon geachtet. „Es macht mich
irre“, sagt er leise.
Aus dem Präsidium der Berliner Polizei erfährt man,
dass von Dobrowolskis Tweets regelmäßig auf die gro-
ße Leinwand der Stabsstelle projiziert werden, damit
sich die Oberen darüber amüsieren können.

@schumacher_jorg: Seine Tweets sind der Beweis,
dass es in der Polizei ein Extremismus-Problem gibt.
In seinem Fall Links-Extremismus.
@ThomasF5000: Oliver, du bist ein Vollidiot!!!

Reicht es, wenn man selbst an sich glaubt, oder
braucht es auch andere, die an einen glauben? Früher
Abend, von Dobrowolski schiebt sich durch ein holzge-
täfeltes Restaurant in Dahlem. Er hat reserviert, um hier

SEINE SIEGE FÜHLEN SICH


WIE NIEDERLAGEN AN


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