Der Stern (2022-02-24)

(EriveltonMoraes) #1
Im Frühjahr 2021 nahm Moritz Herrmann (l.)
erstmals Kontakt zu von Dobrowolski auf,
seither traf er ihn mehrfach und begleitete
ihn auch zu heiklen Terminen.
Murat Türemiş hätte den Polizisten natürlich am liebsten
in Uniform fotografiert, auch im Einsatz, aber das wurde dem
Kommissar ausdrücklich verboten

einen eigenen Verein zu gründen, der sich mit der Poli-
zeireform beschäftigt. BetterPolice soll der heißen. Bei
PolizeiGrün ist von Dobrowolski ausgestiegen, für viele
überraschend. Er fühlte sich parteipolitisch eingeengt.
Als der Rückzug bekannt wurde, schrieb ihm Robert
Habeck: „Olli, was ist da los? Kann ich helfen?“
15 Mitstreitende haben sich für heute angekündigt.
Von Dobrowolski fällt am Ende der langen Tafel in einen
Stuhl, checkt sein Handy, springt auf, starrt aus dem
Fenster. An der Wand hängt Kaiser Wilhelm zu Ross, Uni-
form und Pickelhaube im goldenen Rahmen. Vor dem
will er jetzt lieber nicht fotografiert werden. Acht
Minuten. Zwölf Minuten. 20 Minuten nach der verein-
barten Zeit ist noch immer niemand aufgetaucht.
Lassen die ihn im Stich?
Stephan Anpalagan, der bekannte Kolumnist und
Berater, auf den er gehofft hatte, kommt nicht, er ist zu
erschöpft. Ein paar Tage später wird er sagen, dass er sich
um von Dobrowolski sorge: „Es ist auf Dauer nicht
gesund, was Olli da macht. Das ist keine Ein-Mann-
Aufgabe, den strukturellen Wandel in der Polizei her-
beizuführen.“
Endlich schaut der linke Polizeigewerkschafter Jonas
Zinnäcker um die Ecke, danach ein Jungpolizist aus
Hessen. Eine Holzbildhauerin kommt hinzu und
schließlich auch Simon Neumeyer, mit sehr guter Lau-
ne. Neumeyer war Polizeischüler in Sachsen, brach die
Ausbildung aber wegen rassistischer Ausfälle der
Ausbilder ab und erzählt seither überall davon. Schnell
ergreift er auch am Tisch das Wort. „Mehr werden wir
wohl nicht. Schade. Aber es ist, wie es ist“, sagt von Do-
browolski, seine Stirn glänzt. Vier Beisitzende, gerade
so viele, wie man mindestens braucht für eine Vereins-
gründung. Auf seinem iPad winken sechs Zugeschalte-
te als Videokachel. Einer kocht nebenher.
Sie diskutieren, welche Schwerpunkte sie setzen,
welche Kontakte sie knüpfen wollen. Schnitzelessende
Gäste an den Nebentischen hören neugierig mit. Von
Dobrowolski führt mit matter Stimme durch den

Abend, schaut oft auf sein Handy, auf dem der Sohn
schon zweimal angerufen hat. Das hier könnte ein Aufschon zweimal angerufen hat. Das hier könnte ein Aufschon zweimal angerufen hat. Das hier könnte ein Auf--
bruch sein, aber für einen Aufbruch scheint ihm die
Kraft zu fehlen. Neumeyer bringt Ideen ein, Satzungs-
änderungen auch, er malt allen energisch aus, auf
welchen Podien sie sitzen könnten. Am Ende wird Neu-
meyer zum ersten Vorsitzenden des Vereins gewählt,
den sich von Dobrowolski ausgedacht hat.
Später, vor dem Restaurant, kalter Wind schüttelt die
Kastanien des Biergartens. Von Dobrowolski scharrt mit
seinem Schuh im Kies. Es ist einer der seltenen Momen-
te, da sein Panzer aufbricht. „Ich bin bloß froh, dass es
geschafft ist“, sagt er. Seit Wochen schlafe er nicht mehr
durch. Würde der Mann, der immer sagt, er wolle noch
in den Spiegel schauen können, in den Spiegel schauen,
er sähe ein Gesicht mit Rändern unter den Augen.
Er könnte seine Accounts löschen, sein Profil bei Twit-
ter, er könnte aufhören, Interviews zu geben, die Polizei
zu kritisieren, er könnte nur mitlaufen und Dienst tun.
Aber er würde dadurch kein anderer mehr. Alles, was er
getan und gesagt hat, ist in der Welt. Oliver von Dobro-
wolski wird sich selbst nicht mehr los.
Am Telefon hat er erklärt: „Ich bereue manchmal, dass
ich diesen Weg gegangen bin. Nicht manchmal. Sehr oft.
Dass ich mich dafür so verbrauche, war nie der Plan.“
Und man muss zurückdenken an das Treffen im Café
Feuerbach, an die Übergabe der Dokumente, die Frage,
was damit passieren soll. Von Dobrowolski hatte dem
Informanten gesagt, wie man sich Verbündete suchen,
es an die große Glocke hängen könnte, dann aber inne-
gehalten. „Eigentlich siehst du vor dir ein verbranntes
Häufchen Asche, das froh ist, wenn es seine verbleiben-
den Dienstjahre ohne Burnout schafft“, hatte er gesagt,
und der andere Mann hatte entgeistert genickt. Die
geheimen Unterlagen hat von Dobrowolski sicher
verwahrt. Den anderen erzählt er davon nichts. Bei dem
Mann hat er sich nie wieder gemeldet.

@cgmkucera: Verpiss dich lieber aus der Politik,
du grüner Faschist.
@laurin84100942: Du bist eine Schande für die
Demokratie und die deutsche Polizei.

Auf der Terrasse des Kriminalhauptkommissars lan-
dete vor einiger Zeit eine verletzte Amsel. Eigentlich sol-
len solche Vögel zum Tierarzt oder in die Notrettung
verbracht werden, aber von Dobrowolski entschied, sich
selbst zu kümmern. Er bettete sie in einen Schuhkarton
und flößte ihr Wasser ein, und als das Tier wieder zu
Kräften gekommen war, ließ er sie in der Siedlung frei,
an einer ruhigen Stelle, bei der mächtigen Hecke. Vor-
her hat ihm die Amsel leider noch die ganze Terrasse
vollgeschissen. Von Dobrowolski kann darüber scheu-
ern, so viel er will. Die Flecken gehen nicht raus. 2

Demonstration
gegen Polizeigewalt
in Berlin (oben);
Oliver von Dobro-
wolski findet, die
eigene Truppe
müsse reformiert
werden: Mit Jonas
Zinnäcker (re.) und
Simon Neumeyer
gründet er den Ver-
ein BetterPolice, am



  1. Februar ist
    außerdem sein Buch
    „Ich kämpfe für eine
    bessere Polizei“ (bei
    S. Fischer, 18 Euro)
    erschienen


24.2.2022 89

Free download pdf