KULTUR
106 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022
und attraktiv gemacht. Vermutlich ist das auch
ein Grund für die starke Kundenbindung. Ich
werde oft von Menschen angesprochen, die
sich bedanken und davon erzählen, dass sie
zurückliegende Jil-Sander-Entwürfe immer
noch tragen.
SPIEGEL: Was hat Ihnen der wirtschaftliche
Erfolg damals bedeutet?
Sander: Unser wirtschaftlicher Erfolg hat mir
gezeigt, dass wir es richtig machen. Wir waren
ein gesundes, selbst finanziertes und schul-
denfreies Unternehmen. In den Neunzigern
sind wir organisch gewachsen, aber es kam
der Punkt, an dem ich ein Joint Venture mit
einem Accessoire-Spezialisten angestrebt
habe, um zeitgemäß zu bleiben.
SPIEGEL: Welche Dinge machen Ihnen jenseits
der Mode und des Geschäftlichen Freude?
Sander: Ich freue mich, dass Sie voraussetzen,
dass mir das Geschäftliche Freude macht,
denn es stimmt. Als ich an die Börse ging,
habe ich vieles meinen Beratern überlassen
und mich auf meine Kollektionen konzen-
triert. Doch heute lese ich den Wirtschaftsteil
der Zeitungen mit großem Interesse und bin
über die ökonomische Gesamtlage viel besser
informiert. Im Übrigen habe ich an allem
Freude, was gelungen ist. Das kann ein
schlichtes, aromatisches Essen oder ein schö-
ner Garten sein.
SPIEGEL: Sie haben eine besondere Verbin-
dung zur Natur.
Sander: Die Mode bringt das mit sich, als De-
signer denkt man in klimatischen Zyklen und
ist sich der jeweiligen Wetterbedingungen
bewusst, auch wenn man zugleich die gesell-
schaftlichen, geschichtlichen Veränderungen
im Blick hat und etwas Neues anstrebt. Aber
die Natur ist auch ein stiller Raum, in dem ich
Kraft schöpfen kann. Unser Garten nördlich
von Hamburg ist ein wichtiges Element in
meinem Leben und war es besonders in der
Pandemie, als wir nicht reisen durften. Für
mich ist dieser Garten auch ein Lebenswerk,
und er hört nie auf, mich zu brauchen. Es ist
eine besonders dankbare Aufgabe, mit leben-
digen Pflanzen zu arbeiten, die wachsen und
sich verändern und in denen eine Vision auf
ganz eigene, unvorhersehbare Weise Gestalt
annimmt. Ich sehe meine Designarbeit paral-
lel dazu.
SPIEGEL: Was macht für Sie die Schönheit
eines Gartens aus?
Sander: Die Natur kann nichts falsch machen
und ist uns in allem überlegen. Aber ich habe
in meiner Gartenplanung eine gewisse Stim-
mung gesucht, die mich früh in Vita Sackville-
Wests Garten von Sissinghurst Castle beein-
druckt hat. Auch unser Garten besteht aus
von Hecken abgeschlossenen Bereichen und
steht insofern in der Tradition des mittelalter-
lichen Marienhags. Er ist in der Struktur ein
englischer Park, aber besitzt im Innern große
Harmonie. Er besteht aus farblich geordneten
Rosengärten, einem Schnitt- und einem Kräu-
tergarten, der auch aus der Klostertradition
kommt. Es gibt nicht mehr viele solcher förm-
lichen Gärten in Europa, denn deren Pflege
ist aufwendig. An meinem Garten schätze ich
die Geborgenheit, die Überraschungen und
Wunder, die sich darin verbergen. Gärten
überhaupt sind schön, weil in ihnen die Viel-
falt ihren Platz hat und sie nicht von starken
Monokulturen verdrängt wird. In Gärten fin-
det man auch fragile, schützenswerte Krea-
turen, und das ist ja eigentlich das Wesen jeder
Kultur.
SPIEGEL: Haben Sie eine Lieblingspflanze?
Sander: Die Päonie.
SPIEGEL: Welchen Einfluss hat die japanische
Kultur auf Sie?
Sander: Großen Einfluss, sie begeistert mich.
Als japanische Designer in den Achtziger-
jahren auf den Pariser Laufstegen erschienen,
habe ich diese neue Tendenz hin zu mehr
experimentellen Schnitten und Stoffen, zu
einer reduzierteren Farbpalette und zum Ver-
zicht auf Dekor als sehr hilfreich für meine
eigene Arbeit empfunden. Yohji Yamamoto
spricht in Interviews davon, dass sein Design
nicht von seiner Kindheit im zerbombten To-
kio zu trennen sei. Und diese Kindheitserfah-
rung von Zerstörung und Mangel teilen wir.
Vielleicht hat es auch eine Stunde null in der
Mode gegeben. Diors New Look war 1947
der erste Versuch, einen Neuanfang zu defi-
nieren. Doch vieles in der Mode, die nach
dem Krieg aus dem unzerstörten Paris kam,
knüpfte an die Couture-Tradition des Präch-
tigen an.
SPIEGEL: Sie haben im Herbst Ihre vorerst
letzte +J-Kollektion für die japanische Firma
Uniqlo entworfen. Was hat Sie daran gereizt,
für diese weltumspannende Marke zu ar-
beiten?
Sander: Das Angebot von Uniqlo war inte-
ressant, weil ich Mode auf dem Qualitäts-
niveau meiner vorherigen Arbeit zu demo-
kratischen Preisen entwerfen konnte. Und
Uniqlo ist global sehr gut vernetzt, sodass ich
ein großes internationales Publikum erreiche.
Es gehört zu meiner Mission als Designerin,
Mode für die Gegenwart anzubieten, unab-
hängig von einer Weltregion. Ich meine
Mode, die uns verbindet, weil sie kein Status-
symbol ist, sondern durch Understatement,
Qualität und Modernität die Persönlichkeit
aller Träger unterstreicht.
SPIEGEL: Wie haben Firmen wie H & M, Zara
oder Uniqlo die Modebranche verändert?
Sander: Die Ladenketten haben als Alterna-
tive zu den stark trendorientierten Modehäu-
sern begonnen, doch inzwischen haben sich
beide Seiten sehr aufeinander zubewegt. Die
preiswerten Ketten kopieren die Laufsteg-
mode, und die Luxushäuser haben günstige
Nebenlinien eingeführt. Die Tatsache, dass
seit den Neunzigern Mode allen zugänglich
ist, hat das ganze System verändert. Die füh-
renden Marken haben schnell begriffen, dass
dieser demokratische Markt, der bald zum
Weltmarkt wurde, viel interessanter für sie
war als der kleine Kreis der Luxuskundschaft.
Ende der Neunziger haben viele renommier-
te Marken sich auf Accessoires konzentriert,
die deutlich sichtbar ihr Logo trugen. Heute
stehen wir am Ende dieses Booms in der Mas-
senproduktion, weil wir die damit verbun-
dene Umweltzerstörung sehen, nicht zuletzt
durch die marktmanipulierende Vernichtung
ganzer Kollektionen.
SPIEGEL: Uniqlo machte 2020 einen Jahres-
umsatz von rund 13 Milliarden Euro, es gibt
über 2000 Ladengeschäfte von Hiroshima
über Moskau bis nach Los Angeles. Ändert
das Ihre Herangehensweise als Designerin?
Sander: Schon Jil Sander wurde weltweit ver-
kauft. Damals haben wir die Kleidergrößen
achtsam gradiert, um alle Körpertypen ein-
zubeziehen. Für +J werden die Prototypen
entsprechend sorgfältig durchdacht. Farblich
gibt es ein Spektrum, das für alle Hauttypen
interessant sein kann. Gerade aufgrund von
Uniqlos hohem Umsatz konnte ich meinen
anspruchsvollen Designansatz beibehalten.
Denn der Umsatz verleiht dem Unternehmen
die Kaufkraft, die es +J erlaubt, auf hohem
Niveau zu produzieren, ohne dass sich das in
den Preisen widerspiegelt.
SPIEGEL: Früher haben Sie hochpreisige Klei-
der in geringerer Stückzahl gefertigt, Ihre +J-
Kollektion verfolgt ziemlich genau das Gegen-
teil. Woher kommt dieser Sinneswandel?
Sander: Es hat mir immer leidgetan, wenn
Freunde klagten, dass sie sich mein Design
nicht leisten konnten. Bei +J begeistert es
mich, dass man sich ganz einkleiden kann,
während man sonst für sein Geld nur einen
Mantel bekam. Denn eine Kollektion ist auch
ein Zusammenspiel.
SPIEGEL: Gibt es heute einen globalen Ge-
schmack?
Sander: Ich weiß nicht, ob man von einem
globalen Geschmack sprechen kann. Es gibt
eher eine unausgesprochene Übereinkunft
des Casual-Stils. Starke Statements, die oft
ins Theatralische gehen, findet man kaum
mehr auf der Straße, sondern nur auf Events,
in den sozialen Medien und der Klubwelt.
In Zeiten der Vielfalt werden Geschmacks-
diskussionen eher vermieden. Und doch er-
kennt jeder durchdachte Kleidung.
Garten bei Plön
»Wir stehen am Ende
des Booms der
Massenproduktion.« Interview: Claudia Voigt n
Jil Sander privat
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