Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
KULTUR

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 113

sie bekräftigt seitdem immer wieder auf Face-
book, dass die Zahl der Impftoten »ziemlich
sicher weit höher« sei.
Lisa Fitz ist eine freundliche Frau. Sie
spricht ruhig, lässt andere ausreden. In einem
ausführlichen Telefonat mit dem SPIEGEL
nimmt sie Stellung zu Kritik. Sie wolle Mah-
nende sein, unabhängiger Freigeist, ohne La-
gerdenken, bereit zum Diskurs, sagt sie. Doch
dann will sie nur zitiert werden, wenn sie den
gesamten Text vorher absegnen darf. Schließ-
lich zieht Fitz alle Zitate zurück. Sie habe Hin-
weise darauf, jemand aus der Chefetage
des SWR habe in der Chefetage des SPIEGEL
einen kritischen Text über sie bestellt. Lisa
Fitz wähnt sich als Opfer einer Verschwörung.
Für den Münchner Kabarettisten Michael
Altinger, der ebenfalls bei der umstrittenen
»Spätschicht«-Sendung aufgetreten war, war
das mediale Echo nach der Ausstrahlung kei-
ne Überraschung: »Mich wundert, dass sie
sich wundert. Es ist klar, auf welche Mühlen
Lisa Fitz da Wasser gegossen hat. Ihr Beitrag
hätte wohl auf einer ›Querdenker‹-Demo gro-
ßen Beifall gefunden.« Altinger sieht in dem
Beitrag eine »politische Wut rede« mit ein-
deutiger Botschaft: »Die Grundaussage war
für mich: Die Politiker sind korrupt, der Wis-
senschaft kann man nicht glauben, und ob
Impfen gut ist, steht doch sehr in den Wolken.
Das ist ihre Meinung, die darf man bei uns
haben, auch im SWR. Aber man sollte nicht
überrascht oder gar beleidigt sein, wenn die
Reaktion entsprechend groß ist.«
Kritik ist Lisa Fitz seit Jahrzehnten ge-
wohnt. Sie hat immer provoziert und den
Gegenwind ausgehalten – und auch genossen.
Sie entstammt einer bayerischen Künstler-
familie, aus der Kabarettisten, Musiker und
Schauspieler hervorgegangen sind. Ihr Vater
Walter Fitz war Strauß- Double am Nockher-
berg, jener Veranstaltung, bei der sich Bay-
erns Politiker in starkbierseliger Atmosphäre
vorführen lassen und dann gemeinsam mit
ihren Karikaturisten noch eine Maß Bier auf
die Gemütlichkeit heben. Walter Fitz förder-
te die erste Karriere seiner Tochter, die im
Dirndl stattfand, als Sängerin und Moderato-
rin der »Bayerischen Hitparade«.
Der Ausbruch aus dem Image der zünfti-
gen Lisa kam in den Achtzigern. Als sie den
Rockmusiker Ali Khan, Sohn eines Iraners,
heiratete, kam sie erstmals mit rassistischen
Ressentiments in Berührung. Sie produzierte
mit ihm 1982 den Song: »Mein Mann ist Per-
ser, ein ganz perverser«. Sie dichtete: »Küm-
meltürke, Knoblauchfresser, in der Tasche ein
offenes Messer, dauernd geil auf deutsche
Weiber, wie alle die Kameletreiber, dreckert
san’s und faul, kein Hirn und großes Maul«.
Spätestens seitdem gehört die Empörung zu
den Standardreaktionen auf Lisa Fitz. Ihre
Bühnenprogramme hießen »Die heilige Hur«,
»Ladyboss«, »Heil« oder »Kruzifix«. Über
die »Die heilige Hur« von 1983 empörten sich
Christinnen, allein schon wegen des Titels.
Lisa Fitz kämpfte gegen stereotype Ge-
schlechterrollen, für sexuelle Selbstbestim-

mung. Sie wollte beides verkörpern, Heilige
und Hur, Hirn und Sex. Sie rief auf der Büh-
ne zur Vielmännerei auf, gab die Domina im
Lederkorsett. Gegen Prüderie und Obrigkeit,
für Freiheit und Gleichheit. 1996 war sie in
der üppigen Rockrevue »Kruzifix« die wü-
tende Mutter Gottes im goldenen Kleid, die
zum Streit um Kruzifixe an bayerischen Schu-
len sagte: »Wenn ich abgetrieben hätte, hätten
die gar nichts zum Abhängen.« Auch hier:
Empörung von Katholiken, Anzeigen wegen
Blasphemie. Gegenwind, den sie als Aufwind
nahm. Fitz genoss die Rolle der Tabubrecherin.
Dieter Hildebrandt förderte sie. Zugleich woll-
te sie immer anders sein als das kopfgesteuer-
te Männerkabarett. »Das traditionelle Zeige-
finger-Kabarett gefällt mir nicht«, sagte sie
1994 im Gespräch mit dem SPIEGEL. »Das
ist doch meistens nur selbstverliebte Verbal-
Akrobatik.«
Fitz lebte, was sie auf der Bühne verkör-
perte, war der Liebling des Boulevards. In
den Achtzigern erzählte sie in einer Frauen-
zeitschrift, dass sie neben ihrem Ehemann
zeitweise zwei weitere Liebhaber gehabt
habe. Mit Mitte vierzig ließ sie sich mit ihrem
24-jährigen kubanischen Freund im Pool ab-
lichten, nur die Hände des Lovers bedeckten
ihre Brüste. Mit dieser Homestory landete sie
auf der Titelseite der »Bild«. 2004 ging sie
ins erste deutsche RTL-Dschungelcamp. Ab-
qualifiziert von den Feuilletons saß Fitz noch
ahnungslos mit Küblböck und Kaker laken in
Australien, als der Saarländische Rundfunk
sie aus ihrer eigenen Sendung »fitz and
friends« warf.
Fitz prangerte den Rauswurf öffentlich an,
beauftragte auf eigene Kosten eine Umfrage
zu ihrer Beliebtheit bei der jungen Zielgruppe
und bekam die Hauptrolle in der RTL-Serie
»Die Gerichtsmedizinerin.« Die Versöhnung
mit dem Saarländischen Rundfunk erfolgte ein

paar Jahre später. In ihrer Autobiografie, die
zu ihrem 60. Geburtstag erschien, erzählt sie
süffisant, wie sie als junge Sängerin Franz Josef
Strauß zum Essen traf und er sie danach in
einer offenbar eigens für solche Zwecke an-
gemieteten Münchner Wohnung unzweideutig
angemacht habe, dabei »dampfte wie ein Stier
bei der Brunft«. Doch sie war enttäuscht, dass
die Medien heiß waren auf den geilen Strauß
und sich zu wenig mit den tieferen Erkennt-
nissen in ihrem 400-Seiten-Werk befassten.
Seit 2007 wandte sich Fitz mehr und mehr
vom feministisch gesellschaftspolitischen Ka-
barett ab. Frauenthemen und die Provokatio-
nen als sexy Kraftweib hatten sich für sie tot-
gelaufen. Schon immer an der Friedensbewe-
gung interessiert, ging es ihr jetzt um die
ganze Welt. Sie beschäftigte sich mit Krieg
und Öl, mit Rüstung und Korruption, mit der
Macht des Geldes. Und immer öfter auch mit
den Dingen, die im Hintergrund und ganz
weit oben ablaufen oder abzulaufen scheinen.
Mit den angeblichen Geheimnissen, von
denen wir nichts wissen sollen oder wollen
oder beides. Dazu gehört der Topos vom Nor-
malo, der zu faul und zu dumm ist, um die
Wahrheit zu erkennen. Und das Selbstver-
ständnis, selbst mehr recherchiert, mehr ge-
lesen und mehr verstanden zu haben.
Ein Wendepunkt war das Jahr 2016. Ein
Auftritt in der SWR-»Spätschicht« brachte Fitz
über YouTube ganz neue Zielgruppen. Sie
schmeißt ihre bunte Hippiehose in die Ecke,
nennt die Nato »Kartenhaus des Satans«. Die
Deutschen seien in »Sippenhaft der Nato-Ma-
fia«. Das war der Weckruf für den esoterischen
Ver schwörungstheoretiker Heiko Schrang, der
sie begeistert zum Interview in seinen Kanal
bat. Im selben Jahr gab sie auch zum ersten
Mal dem russischen Sender RT ein Interview.
Schon damals, Jahre vor Corona, präsentierte
Fitz all das, was sie auch heute sagt: Die Poli-
tik sei »kriminell und verlogen«, die
Kabarettkol legen »systemimmanente Hofnar-
ren«, die sich nur aus der »Weglassungs presse«
informierten.
In den Olymp der Verschwörungstheore-
tiker gelangte Fitz dann 2018 mit ihrem Song
»Ich sehe was«, pu bliziert im Kanal von Hei-
ko Schrang, hochgejazzt mit dem Zusatz »Lisa
Fitz’ brisanter Song zensurgefährdet?«. Sie
wolle, betonte sie seitdem immer wieder, Ka-
pitalismuskritik üben, die Macht der Super-
reichen anprangern. Sie textete: »Rothschild,
Rockefeller, Soros und Konsorten ... die auf
dem Scheißeberg des Teufels Dollars horten«.
Und: »Die Puppenspieler sitzen ganz woan-
ders / Ein illustrer Kreis, oh ja, der kann das«.
Den Vorwurf des Antisemitismus wies sie
immer zurück. Worauf sie mit den Zeilen an-
spielte, will sie nicht gewusst haben. Man
könne ihr allenfalls Unbedachtheit vorwerfen.
Wirklich distanziert hat sich Fitz von dem
Song aber nie. Er brachte Fitz Beifall von den
ganz Rechten, den ganz Linken und den ganz
Verwirrten.
Im Netz ist sie spätestens seitdem auch im
Umkreis derer unterwegs, die Stalin für einen

Worauf sie mit ihren
Zeilen anspielte, will Fitz
nicht gewusst haben.

Geehrte Fitz, Ministerpräsident Söder 2019

Frank Hoemann / SVEN SIMON

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