Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
DEUTSCHLAND

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 41

tatsächlich selber sein Hochhaus.« Sie
erklärte ihm, dass erst einmal eine
städtebauliche Studie notwendig sei,
dass das Projekt dann den Fachgre-
mien vorgelegt und im Baukollegium
diskutiert werden, dass sodann ein
Architekturwettbewerb aufgelegt
werden müsse. Es dauerte also alles
noch mal etliche Jahre, bis schließlich,
2014, das Siegerprojekt aus der Hand
des Architekturbüros Barkow Leibin-
ger der Öffentlichkeit präsentiert wur-
de. »Meine Planung hätte die Hälfte
gekostet«, sagt Streletzki heute dazu.
Seit vergangenem Sommer nun
sind die Bauarbeiten im Gang, derzeit
wird die Bodenplatte gegossen, die
auf 52 Bohrpfählen ruht, die 30 Meter
in die Erde eingelassen sind. Vater
und Sohn hatten nach dem Ausbruch
der Pandemie das Konzept des Turms
überarbeitet, wobei die neuen Ideen,
wie der Vater betont, vor allem vom
Sohn stammen. Es gibt jetzt weniger
Zimmer als ursprünglich geplant, 525
statt 850, es soll mehr »Serviced
Apartments« geben für Langzeitgäs-
te, mehr »Coworking-Offices« für
Start-ups, mehr »Eventfläche« für
Veranstalter und ganz oben ein
»Farm-to-Table«-Restaurant und eine
»Skybar« mit Außenterrasse.
Maxim Streletzki, der in den USA
erst Filmwissenschaften und dann
Hotelfach studiert hat, beantwortet
die Frage, welche Rolle er genau spie-
le im Unternehmen, mit ungezügelter
Bescheidenheit. Das sei unwichtig,
»Geschäftsführer« stehe da drauf,
aber er habe »nichts geleistet, es ist
alles mein Vater«, und es mache ihm
Spaß, von ihm zu lernen. Auch wenn
Ekkehard Streletzki sich seit einiger
Zeit aus dem Tagesgeschäft raushält
und viel auf Reisen ist, so ist es be-
stimmt nicht leicht, in seine Fußstap-
fen zu treten, besonders wenn man
denselben Nachnamen trägt.
Jetzt warten sie in Neukölln auf
das Ende der Pandemie, wie alle an-
deren auch. Was aber, wenn das Kon-
gress- und Tagungsgeschäft nicht zu-
rückkommt oder nur halbwegs? Was,
wenn sich die Arbeitgeber und -neh-
mer so sehr an das Leben am Bild-
schirm gewöhnt haben, dass sie ihr
Homeoffice gar nicht mehr verlassen
wollen? Ekkehard Streletzki, ewiger
Optimist, ist sich sicher: »Die Leute
wollen wieder raus, sie wollen sich
wieder begegnen.« Und wenn nicht?
Von der Frage hängt letztlich alles ab.
Der glitzernde, himmelragende Estrel
Tower ist Streletzkis Wette auf eine
Zukunft, die seiner Meinung nach
mindestens so gut wird wie die Ver-
gangenheit oder noch viel besser.
Guido Mingels n

leid mit ihm haben. Auf 400 Millio-
nen Euro schätzt das manager maga-
zin in seiner Liste der 500 reichsten
Deutschen das Streletzki-Familien-
vermögen.
Streletzki junior blickt durch eine
Glasfront auf eine Großbaustelle
nebenan, wo nahe der S-Bahn-Sta-
tion Sonnenallee eine private Uni-
versität einziehen wird. »Unser Um-
feld entwickelt sich positiv«, sagt er.
Auf der anderen Seite ist der Ab-
schnitt 16 der Stadtautobahn A 100
im Bau, eine Ausfahrt kommt direkt
neben das Estrel zu liegen, die Er-
öffnung ist für 2024 geplant, wenn
auch der neue Turm fertig sein soll.
Das Estrel, vor 30 Jahren in abseiti-
ger Lage erbaut, ist immer stärker
in den Sog eines dynamischen Ber-
liner Entwicklungskorridors gera-
ten, der Südostachse. Westlich liegt
das Tempelhofer Feld, südöstlich der
Wissenschafts- und Technologiepark
Adlershof, im angrenzenden Bran-
denburg steht der neue Großflug-
hafen BER, und östlich davon
wächst Elon Musks Tesla-Fabrik.
Streletzkis wüstes Vorstadtensem ble
steht plötzlich in einem neuen
Wachstumszentrum.
Zurück am Tisch parliert sich Stre-
letzki senior anekdotenreich durch
seine bewegte Biografie. Als junger
Bauingenieur gründete er in Mün-
chen ein Statikbüro und kam im Bau-
boom vor den Olympischen Spielen
1972 zu Aufträgen und Wohlstand.
Dann las er, dass in den Ölstaaten viel
gebaut werde, und flog nach Teheran,
»wo ich keinen kannte, aber schon
nach kurzer Zeit einen Riesenauftrag
erhielt«. Bald, so erzählt er, berech-
nete er die Statik für mehrere Wohn-
türme, die in der Sommerpalastanla-
ge des Mohammed Reza Pahlevi er-
richtet wurden, des letzten Schahs
von Persien. Streletzki, eine Art Han-
delsreisender auf den Routen der jün-
geren Weltgeschichte, verabschiedete
sich am Vorabend der Islamischen
Revolution, 1979, aus Iran. Ein Jahr-
zehnt später brachen DDR und Ost-
block zusammen, und er errichtete
unweit vom Mauerstreifen seine Her-
berge für die Massen.
Manches scheiterte auch. In Mos-
kau eröffnete er ein umweltfreund-
liches Ziegelwerk, das schnell wieder
dichtmachte. In Monaco kaufte er
eine Chemiefirma, die vor die Hunde
ging. Einmal wollte er schlüsselferti-
ge Fabrikanlagen für Desinfektions-
mittel nach Saudi-Arabien verkau-
fen, was misslang. »Man kann nicht
immer Glück haben«, sagt Streletzki,
»aber man muss es immer versu-
chen.«

Sein jüngster und vielleicht letzter
großer Streich, der Turmbau zu
Neukölln, hat eine ähnlich lange Pla-
nungsgeschichte wie der Pleiten-Air-
port BER. Ursprünglich wollte Stre-
letzki auf dem Grundstück eine Ver-
anstaltungsarena samt Einkaufsmall
bauen, »so für rund 12 000 Besu-
cher«, das wurde aber in den späten
Nullerjahren von der Stadt abgelehnt.
Dann kam ihm die Idee mit dem
Turm, »und dazu gibt es eine schöne
Geschichte«, sagt Streletzki.
Die geht so: Er ging also mit den
selbst gefertigten Skizzen seines
Turms bei der damaligen Senatsbau-
direktorin und Chefstadtplanerin vor-
bei, Regula Lüscher. Diese, für ihre
Skepsis gegenüber Wolkenkratzern
bekannt, habe sich alles mit Interesse
angeschaut und ihn gefragt, warum
der Tower denn 176 Meter hoch wer-
den solle. Er habe geantwortet: »Lie-
be Frau Lüscher, das müssen nicht 176
Meter sein, es können auch 170 oder
180 Meter werden.«
Lüscher bestätigt die Anekdote.
»Zuerst war ich entsetzt«, sagt sie.
»Himmel, da zeichnet der Mann doch

Geplantes Hotel­
gebäude in Neukölln:
Wette auf eine
bessere Zukunft

Geschäftsführer
Maxim Streletzki

Götz Schleser / DER SPIEGEL

Barkow Leibinger Architekten

260
Millionen
Euro

soll der
Estrel Tower
kosten.

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