Der Spiegel (2022-02-26)

48 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

REPORTER

D

as Foto wurde im Frü hjahr 1989 aufgenom-

men und zeigt mich beim Kauf einer Vor-

abendausgabe der »Berliner Morgenpost«

vom Samstag. Sie enthielt damals einen um-

fangreichen Immobilienteil mit Mietwohnungs-

anzeigen für den umkä mpften West-Berliner

Wohnungsmarkt. Ich war 21 Jahre alt, Student

der Ethnologie, und gemeinsam mit meinem

Studienfreund Friedhelm suchte ich eine bezahl-

bare Mietwohnung, in der wir eine Zweier-WG

grü nden wollten.

Das Foto zeigt, wie mü hsam die Wohnungs-

suche damals war, bevor wir das Internet hatten

und Mobiltelefone. Die Samstagsausgabe der

»Morgenpost« konnte man bereits freitags ab 22

Uhr am Bahnhof Zoo kaufen. Jedes Mal bildete

sich eine lange Schlange von Wohnungssuchen-

den. Sie warteten auf den Lieferwagen, der direkt

von der Druckerei in Kreuzberg kam. Die noch

warmen Zeitungen wurden aus der Schiebetü r

heraus verkauft. Der West-Berliner Wohnungs-

markt war vor dem Mauerfall so angespannt,

dass man unbedingt diesen Zeitvorsprung nutzen

wollte. Auf dem Foto nicht zu sehen ist Fried-

helm, der bereits mit einer Rolle Groschen, einem

Textmarker und einer Taschenlampe bewaffnet in

einer der wenigen Telefonzellen vor dem Bahn-

hof Zoo wartete. Auf dem Foto bin ich gerade mit

der druckfrischen Zeitung in der Hand auf dem

Weg zu ihm in die Telefonzelle, die er seit gerau-

mer Zeit besetzt hielt, indem er so tat, als wü rde

er telefonieren. Oftmals waren die Wohnungen

trotzdem bereits vergeben; es kursierte das

Gerü cht, die Schriftsetzer des Axel-Springer-

Verlags wü rden die besten Anzeigen vorab an

Freunde weitergeben. Trotz allem fanden wir

nach ein paar Wochen zwei Zimmer zur Unter-

miete in einer Wilmersdorfer Altbauwohnung,

hohe Decken, Stuck, unten eine Eckkneipe.

Heute lebe ich noch immer in Berlin, in einem

Reihenhaus in Zehlendorf, meine Kinder sind

schon groß, 20 und 23 Jahre alt. Als sie kürzlich

nach Wohnungen suchten, taten sie das natürlich

im Internet auf den entsprechenden Portalen,

sitzend, im Warmen. Ich fragte sie, ob sie auch

schon mal an der Uni am Schwarzen Brett ge-

schaut hätten. Sie sahen mich an, als stammte ich

aus der Steinzeit.

Wohnungsnot, 1989

FAMILIENALBUM Jens Westerfeld, 53, aus Berlin

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Aufgezeichnet von Barbara Hardinghaus

EXTREMSPORT

»Wie lange zitern

Sie, Herr Bieber?«

SPIEGEL: Sie sind neulich für

einen Rekord versuch 36 Minu-

ten lang durch den vier Grad

kalten Bodensee geschwom-

men. Warum macht man das?

Bieber: Ich schwimme jeden

Tag im Bodensee. Der Effekt

danach ist cool. Man fühlt

sich, als hätte man den Mount

Everest bestiegen.

SPIEGEL: Die Eismeile gilt als

Königsdisziplin im Eisschwim-

men. Wie haben Sie sich darauf

vorbereitet?

Bieber: Ich habe in diesem

Winter zum Beispiel zwölf

Kilogramm zugenommen.

Das Fett schützt meine Organe.

Wir nennen es Biopren statt

Neopren.

SPIEGEL: Und was ist mit der

Haut? Schmieren Sie die mit

irgendetwas ein?

Bieber: Nein. Erlaubt sind nur

Badehose, Badekappe,

Schwimmbrille, eine Boje und

Ohrstöpsel, um den Gehörgang

zu schützen.

SPIEGEL: Und bestimmte andere

Körperteile muss man nicht

schützen?

Bieber: Das hält das Gemächt

aus. Kälte ist in dem Punkt

auch weniger problematisch als

Wärme.

SPIEGEL: Es gibt ein Video, da

kommen Sie aus dem Wasser

und zittern total. Wie lange

dauert das an?

Bieber: 30 Minuten etwa. Durch

das Zittern der Muskeln er-

wärmt sich der Körper wieder.

SPIEGEL: Was raten Sie

Menschen, die sich von Ihnen

inspiriert fühlen?

Bieber: Was ich mache, ist

Ex tremsport. Da kann man

auch nicht mehr von einem

positiven gesundheitlichen

Effekt reden. Wer mal ein

wenig Eisbaden möchte, sollte

als Erstes zum Arzt. Wenn

man gesund und das Herz okay

ist, kann man sich langsam

ran tasten, mal so 30 Sekunden

am Uferrand und immer in

Begleitung. WIN

Paul Bieber, 38, aus Röthenbach

ist in diesem Winter seine

sechste Eismeile geschwommen

und hält damit den deutschen

Rekord im Eisschwimmen.

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