Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 49

alle zwei Wochen zu ihr kommen.
Mitglied der Kartengruppe war früher
auch Wilhelm Wieben, aber auch
er lebt nicht mehr. »Die meisten mei-
ner Freunde sind gestorben«, sagt
Berghoff.
In der Kartengruppe von früher
habe es dann irgendwann nur noch
sie und Monika gegeben. Bis Berghoff
in einem Zug nach Berlin saß, auf dem
Weg zu einer Modenschau, und sich
gut mit einem Mann im Abteil unter-
hielt. Sie blieben in Kontakt, er und
sein Partner, beide etwa 60, spielen
jetzt mit, das Spiel heißt »Phase 10«.
Sie feiern Silvester zusammen und
gehen ab und zu in ein schönes Res-
taurant.
Den Kontakt zu ihren »Tages-
schau«-Kollegen hält sie, mit Jo Brau-
ner mailt sie regelmäßig oder trifft ihn
im Theater. Sie ruft zum Geburtstag
Jan Hofer an. Sie hat nach der letzten
»Tagesschau« noch lange fürs Ra-
dio gearbeitet und als Schirmherrin
für das Kinderhilfswerk Terre des
Hommes. Für das Israelitische Kran-
kenhaus in Hamburg arbeitet sie noch
immer ehrenamtlich. »Das ist wich-
tig«, sagt sie. Etwas zu machen. Ter-
mine zu haben, Struktur. Dabei könn-
te sie sich einfach ausruhen.
Dagmar Berghoff hat viel mehr er-
lebt als nur die »Tagesschau«, früher
hat sie das »ARD Wunschkonzert«
moderiert, Talkshows, die Auswan-
derersendung »Heimat in der Ferne«.
Sie hat die Welt gesehen, war in der
Südsee, in Singapur, in Nashville. Sie
hat zwei Bambis gewonnen und die
Goldene Kamera.
In den Wochen vor Weihnachten
2021 fuhr sie über die Dörfer in
Norddeutschland und las in Senioren-
heimen Weihnachtsgeschichten vor,
ei ne Agentur hatte Berghoff an-
gefragt.
Sie stellte fest, dass die älteren
Menschen schnell wegdämmerten.
Sie änderte das Programm und er-
zählte von der »Tagesschau«, der
Kleidung dort, dem Teleprompter
und dem Studio, und alle verließen
den Raum ein wenig glücklicher, viel-
leicht weil das ARD-Studio etwas ist,
das alle gut kennen von früher. Eine
Heimat in der Vergangenheit.
Eigentlich langweilt sich Dagmar
Berghoff nicht mal nachts. Wenn sie
nicht schlafen kann, läuft sie über den
hellen Teppichboden in ihre kleine
Küche, kocht einen Kaffee, schaut fern
und wartet, bis sie wieder müde wird.
Noch Träume?
Sie schaut kurz hoch, macht eine
Pause und sagt ganz ruhig: »Es wäre
etwas spät dafür.«

F


ebruar, grauer Himmel, Regen,
nicht gerade Gute-Laune-Wet-
ter, aber Dagmar Berghoff sitzt
in roter Pelzweste auf ihrem rosafar-
benen Samtsofa, zündet sich eine Zi-
garette an, sagt zufrieden: »Ich bin
generell nicht wetterabhängig«, und
zieht einmal durch.
Sie spricht ruhig, präzise, mit der
tiefen Stimme, die man aus dem Fern-
sehen kennt, als sie noch die erste
»Tagesschau«-Sprecherin war. Ihr
letzter Dienst-Tag war vor 22 Jahren.
Sie ist 79 Jahre alt mittlerweile, trägt
die Lippen rot, sagt noch »Eisenbahn-
fahrt« und trinkt »Irish Coffee«. Sie
lebt in einem Klinkerbau in Hamburg-
Winterhude, im zweiten Stock, drei
Zimmer, Küche, Bad. Vor dem Pa-
noramafenster liegt ein Alsterkanal,
eine Möwe kreuzt.
Es soll bei diesem Gespräch um
Männer gehen und um das Alleinsein
im Alter. Die »Bunte« schrieb, Dag-
mar Berghoff wolle keinen Mann
mehr. »Klingt erst mal verbittert«,
sagt sie. Aber das sei sie gar nicht.
»Als Single fühle ich mich wohl. Ich
wohne schön, bin gesund bis auf ein
paar Zipperlein.« Ihr einziges Pro-
blem: Sie sei kleiner geworden, schon
vier Zentimeter, und muss ihre Hosen
zum Kürzen bringen.
Sie beginnt zu erzählen, von ihrer
großen Liebe, einem Arzt, Peter
Matthaes. Auf der Klappe des Se-
kretärs steht ein Foto von den beiden,
oval gerahmt, in Ägypten aufgenom-
men, ihr Lieblingsbild. 20 Jahre lang
waren sie verheiratet, bis er krank
wurde, 2001 an Bauchspeichel-
drüsenkrebs starb und sie wieder al-
lein war.
Frauen leben statistisch gesehen
länger als ihre Männer, rund 1,1 Mil-
lionen Witwer gibt es in Deutschland,
aber beinahe 5 Millionen Witwen,
von denen manche nach dem Tod des
Partners das erste Mal in ihrem Leben
allein sind und lernen müssen, das
auszuhalten.
Schon aus der Logik ergebe sich,
dass Frauen im Alter häufi ger ohne
Männer klarkommen müssten, sagt
Dagmar Berghoff, jeder Witwer sei
gleich wieder vergeben. »Und das ist
einfach so.«

Nach dem Tod ihres Mannes habe
das mit der Akzeptanz gedauert, sie
verliebte sich aber sogar noch mal,
kurz. Bis sie wieder allein war.
Dagmar Berghoff sagt, sie sei in
jüngeren Jahren häufi ger allein ge-
wesen. Das helfe. Es klingt, als wäre
Alleinsein ein Sport, in dem man
besser wird, je mehr man trainiert. In
Baden-Baden lebte sie allein bis zu
ihrem 34. Lebensjahr, wohnte dann
in Hamburg mit einem Mann zusam-
men. Bis sie 43 wurde, sich trennte,
wieder allein klarkam, und schließlich
traf sie Peter.
Sie stehe nun morgens um acht
Uhr auf oder um zehn Uhr, ganz wie
sie möchte, sagt Berghoff. Sie steige
dann im Bademantel in den Fahrstuhl
und hole die Zeitung. Trinkt Kaffee,
liest Zeitung, in jedem Zimmer steht
ein Aschenbecher. Sie räumt auf, um
sich zu bewegen, trägt manchmal
auch bis mittags noch den Bade-
mantel, sie nennt es »Freiheit«.
Sie spielt gern am Computer, »Le-
gends of Solitaire«, »Cradle of Per-
sia«, »Jewel Master«, schaut nach
Mails, fährt zum Einkaufen von ihrer
Tiefgarage in die Tiefgarage des Ein-
kaufszentrums. Sieht sich ab 17 Uhr
die »Tagesschau« an, die neuen Kol-
legen. Schaut die Telenovela »Rote
Rosen«, hat ihre Kartenfreunde, die

Sie nennt es »Freiheit«


EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE Wie die frühere »Tagesschau«-Sprecherin
Dagmar Berghoff ihr Leben im Alter gestaltet

Für viele ist
das ARD-Sudio
so ewas wie
eine Heimat
in der Ver-
gangenheit.

Barbara Hardinghaus n

Berghoff an ihrem
Schreibtisch,
Screenshot von
Bunte.de

Andreas Costanzo / BILD

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