Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 59

Erst Preisschock,
dann Preissturz
AUTOINDUSTRIE Der jüngste
Höhenflug bei den Gebraucht­
wagenpreisen dürfte schon bald
abreißen. Anfang des dritten
Quartals werde »das Geschäft
brutal kippen«, prognostiziert
Dirk Weddigen von Knapp,
Präsident des Volkswagen und
Audi Partnerverbands e. V,
eines führenden Händler­
verbunds. Aktuell sorgt eine
Knappheit an Mikrochips dafür,
dass zu wenig Neuwagen pro­
duziert werden. Entsprechend
sind die Gebrauchtwagenpreise
stark gestiegen. Weddigen von
Knapp spricht von einer »per­
versen Preissituation«, Käufer
zahlten für einen VW­Jahreswa­

gen derzeit fast den Neupreis.
Dennoch klagen Händler über
Einbußen, weil sie weniger
Ware verkaufen können. Der
Händlerpräsident erwartet je­
doch, dass sich der Chipmarkt
schon in wenigen Monaten ent­
spannt. Dann würden die Preise
für Gebrauchtfahrzeuge »mas­
siv einbrechen«. Für die Händ­
ler werde die Lage weiter an­
gespannt bleiben: Ihr Insolvenz­
risiko werde sich durch den
Preissturz »stark erhöhen«.
Umso wichtiger sei es für die
Autohäuser, ihr Kerngeschäft
nicht auch noch an die Herstel­
ler zu verlieren. Die versuchten
derzeit, den Händlern den Ver­
kauf von Gebrauchtwagen strei­
tig zu machen. Die VW­Tochter
Financial Services etwa wolle
die Rückläufer aus Auto­Abo
und ­Leasing künftig lieber
selbst möglichst teuer verkau­
fen. »Dabei ist uns der Ge­
brauchtwagenhandel vertraglich
zugesichert«, kritisiert Weddi­
gen von Knapp. VW sagt, man
sei und bleibe »starker Partner
des Handels« und halte sich an
Verträge. Händler erhielten »für
eine bestimmte Zeit das exklu­
sive Ankaufsrecht« für Leasing­
rückläufer »zum Festpreis«. SH

Schulze wendet sich
von Gates-Projekt ab
LANDWIRTSCHAFT Entwick­
lungsministerin Svenja Schulze
(SPD) will die Beteiligung an
der Agrarallianz für Afrika auf
den Prüfstand stellen, die von
der Bill­und­Melinda­Gates­Stif­
tung mitgegründet wurde. Das
Ministerium hat sich bisher mit
25 Millionen Euro an dem Mo­
dernisierungsprojekt beteiligt,
dessen Erfolgsbilanz der vergan­
genen 15 Jahre umstritten ist.
Nun zeigt eine Anfrage der Lin­
ken, dass das Projekt Bauern
ermöglicht, die Pestizide Perme­
thrin und Propanil einzusetzen,
die in der EU verboten sind. Im
Dezember verteidigte die alte
Bundesregierung noch den Ein­
satz: Weltbank­Standards er­

laubten dies unter bestimmten
Voraussetzungen. Im fraglichen
Fall in Ghana, so Jan Urhahn
von der Rosa­Luxemburg­Stif­
tung, würden diese Vorausset­
zungen jedoch nicht annähernd
eingehalten. Von einer sicheren
Lagerung etwa sei nicht auszu­
gehen, zudem habe die US­Um­
weltschutzbehörde Permethrin
als potenziell krebserregend ein­
gestuft. Schulze kündigte an, sie
werde mit dem Agrarministe­
rium ein Exportverbot für in der
EU verbotene Pestizide vorbe­
reiten. Ziel müsse eine sozial­
ökologische Transformation der
Landwirtschaft sein. NKL

Deutsche zweifeln
an Schuldenbremse
FINANZEN Die Zustimmung
der Deutschen zur staatlichen
Schuldenbremse bröckelt. Das
zeigt eine repräsentative Umfra­
ge des Mannheimer Leibniz­
Zentrums für Europäische Wirt­
schaftsforschung (ZEW). Im
Jahr 2014 befürworteten noch
69 Prozent der Deutschen, dass
die Verfassung Bund und Län­
dern die Aufnahme neuer Kre­
dite weitgehend untersagt. Ak­
tuell sind nur noch 59 Prozent
dieser Auffassung. Der Anteil
der Befragten, die der Vorschrift
skeptisch gegenüberstehen, ist
im selben Zeitraum von 15 auf
20 Prozent gestiegen. Außer­
dem wächst die Zahl der Deut­
schen, die es beim Stoppen der
staatlichen Schuldenaufnahme
nicht eilig haben. Während 2014
eine deutliche Mehrheit dafür
plädierte, die Schuldenbremse
spätestens im kommenden Jahr

einzuführen, spricht sich aktuell
weniger als ein Viertel der
Befragten dafür aus. Stattdessen
favorisieren die meisten Deut­
schen derzeit einen Start im
Jahr 2025 oder später. Vor al­
lem den Bundesländern wird es
nach Meinung der Deutschen
schwerfallen, die Vorschrift
umzusetzen. Hielt es 2014 nur
jeder fünfte Befragte für
»wahrscheinlich« oder »sehr
wahrscheinlich«, dass die
Länder mehr Schulden machen
müssen als erlaubt, ist es aktuell
etwa jeder zweite. Der Stim­
mungsumschwung, so zeigt die
Umfrage, hat sich im Zuge der
Pandemie stark beschleunigt.
»Trotz anfänglicher großer
Unterstützung zweifeln die
Bürgerinnen und Bürger zuneh­
mend an der Schuldenbremse«,
heißt es in der Untersuchung.
Die Bundesregierung will die
Vorschrift, die derzeit aus­
gesetzt ist, ab dem Jahr 2023
VW-Gebrauchtwagen wieder einhalten. MSA

Pestizideinsatz auf
Maisfeld in Malawi

Russische Milliarden
in Deutschland
UKRAINE-KRIEG Im Rahmen
der wirtschaftlichen Sanktionen
gegen Russland will die Bundes­
regierung in erheblichem Um­
fang auch gegen russische Inves­
toren vorgehen. Nach Angaben
offizieller deutscher Stellen
halten russische Staatsbürger in
Deutschland Vermögenswerte
im Umfang von rund 25 Milliar­
den Euro, die eingefroren
werden könnten. Darunter fal­
len Firmenbeteiligungen, Wert­
papiere und Bankguthaben.
Allein 2019 tätigten russische
Firmen und Privatleute Direkt­
investitionen von 8,9 Milliarden
Euro in Deutschland. Einer
der bekanntesten russischen In­
vestoren ist Gazprom, der
über eine Tochtergesellschaft in
Berlin Anteile an deutschen
Gasnetzbetreibern hält und bis
Donnerstag als Sponsor auf den
Trikots des Fußballklubs Schal­
ke 04 zu sehen war. Die tatsäch­
lichen Vermögen von Russen
hierzulande dürften aber viel

höher ausfallen. Der Grund:
Der Immobilienbesitz russi­
scher Staatsbürger blieb bei der
Erhebung unberücksichtigt. Tat­
sächlich kauften Russen in deut­
schen Metropolen zuletzt Häu­
ser und Wohnungen im großen
Stil auf. Fachleute führten den
Immobilienboom der vergange­
nen Jahre nicht zuletzt darauf
zurück, dass sie auf diesem Weg
ihr Flucht­ und Schwarzgeld in
Deutschland anlegten. REI

Stadionwerbung
Andreas Mümken / action press

Eldson Chagara / REUTERS

Wolfram Steinberg / picture alliance / dpa

Transparenzhinweis: Neben vielen
anderen Projekten unterstützt die
Gates-Stiftung auch Medien, darunter
das SPIEGEL-Projekt »Globale
Gesellschaft«.

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