Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 69

Lademög lichkeiten und das auto­
nome Fahren. Was Audi da anbietet,
soll zum Vorbild für den ganzen Kon­
zern werden.
Natürlich weiß sie, dass der Weg
vom klassischen Autohändler vor Ort
zum digitalen Einkaufstempel noch
weit ist. Selbst der Kundenkontakt
per E­Mail bereitet einigen in der
Branche bis heute Probleme.
Autohäuser sind oft Familien­
betriebe in zweiter und dritter Gene­
ration, die Öl wechseln oder die
Kurbelwelle austauschen. In der Welt
der E­Antriebe und Software­Up­
dates müssen sie sich erst mühsam
zurechtfinden. Zudem gewinnen im­
mer mehr von ihnen den Eindruck,
dass der Konzern die Zukunft ohne
sie plant. Ganz nach dem Vorbild des
US­Rivalen Tesla sucht VW zuneh­
mend den direkten Kontakt zu den
Käuferinnen und Käufern. Der kali­
fornische Hersteller vertreibt seine
E­Fahrzeuge selbst, online und über
schicke, selbst betriebene Stores in
Innenstadtlagen. So weit werde es bei
VW nicht kommen, versichert Wort­
mann. »Der physische Handel wird
ein integraler Bestandteil bleiben.«
Sofern er sich ändert.
In China setzt Wortmann bereits
stark aufs Digitale. Bei Audi hat sie
die Pandemie genutzt, um den On­
linevertrieb zu treiben. Audis Ver­
triebspartner eröffneten Livestreams,
Virtual­Reality­Showrooms und eine
24 ­Stunden­Onlineberatung. Das Re­
sultat: Der Chinaabsatz der Ingol­
städter blieb im Vergleich zur Marke
VW deutlich stabiler.
Für den Konzern läuft es im welt­
größten Absatzmarkt eher mäßig. Er
hat dort seit 2021 so wenige Autos
verkauft wie seit 2014 nicht mehr.
Volkswagens Stromer waren vielen
Chinesen zu unattraktiv, sie entschie­
den sich lieber für die digital hoch­
gerüsteten Modelle Teslas oder die
der heimischen Hersteller.
Wortmann musste lange um ihren
Aufstieg in den Wolfsburger Konzern­
vorstand bangen. Das lag weder an
ihrem Ansehen noch an ihrer Quali­
fikation – ihr Vorstandsvertrag bei
Audi war gerade erst um fünf Jahre
verlängert worden. Sie war Teil des
Einsatzes im letzten Machtpoker.
Wortmann gilt als Vertraute von Kon­
zernchef Herbert Diess, den sie aus
gemeinsamen Zeiten beim früheren
Arbeitgeber BMW kennt. Dessen
Einfluss wollten Mitglieder des Auf­
sichtsrats im vergangenen Herbst be­
schneiden. Erst als das monatelange
Postengeschacher beendet war, wur­
de auch Wortmann in den Vorstand
berufen. Bis zuletzt hatte sich der

Aufsichtsrat alle Optionen offenge­
halten. Vor der entscheidenden Sit­
zung im Dezember hatte nicht einmal
ihr Name auf der Tagesordnung ge­
standen.
Als Diess­Aufpasser rückten der
Jurist Manfred Döss und der künftige
Chinachef Ralf Brandstätter in den
Vorstand auf. Das war Wortmanns
Chance. Zu viele Männer gehen selbst
in Wolfsburg nicht mehr. Zudem for­
derte Familienvertreter Hans Michel
Piëch schon länger, der weltweite Ver­
trieb aller Marken müsse zentral aus
dem Konzernvorstand heraus geführt
werden. Ihren Job als Audi­Vertriebs­
chefin führt Wortmann nun in Perso­
nalunion fort.
Wortmann, geboren 1966, hat sich
beharrlich nach oben gearbeitet. Sie
machte Abitur, dann eine Ausbildung
zur Fremdsprachenkorrespondentin.
Erst danach studierte sie Betriebs­
wirtschaft in ihrer Heimatstadt Müns­
ter, anschließend in London. Sie
heuerte beim Konsumgütermulti Uni­
lever an, kümmerte sich dort um das
Kosmetiksortiment der damals an­
gesagten US­Marke Calvin Klein.
Ihre wahre Berufung fand sie später
bei BMW. Dort verhalf sie einem fast
schon totgesagten Fahrzeug zu einem
Comeback – dem Mini.
Der ikonische britische Klein­
wagen, den schon die Beatles, TV­
Komiker Mr. Bean und angeblich
auch die Queen gefahren hatten, be­
nötigte ein neues Image. Und Wort­
mann sollte es entwerfen. Sie ver­
anstaltete große Fantreffen namens
Mini United. Rund um die Marke
bildeten sich Communitys, die sich
zu physischen und digitalen Treffen
verab redeten. Zugleich erhielt der
Mini ein völlig neues Design: weg
vom Sardinenbüchsen­Gefühl, hin
zum »Go­Kart­Feeling«.
Der Neustart zahlte sich aus: Die
angestaubte Oldie­Marke avancierte
zum Symbol des Aufbruchs in eine
neue, urbane Mobilität. 50 000 neue
Minis wollte BMW ursprünglich pro
Jahr verkaufen. Es sind mehr als
sechsmal so viele geworden. Bis heu­
te begreift es Wortmann als ihre größ­
te Stärke, »Themen zukunftsfähig zu
gestalten«.
Die nächste Chance dafür erhielt
sie 2019 bei Audi. Volkswagens Pre­
miumtochter, einst größter Gewinn­
bringer und Innovationsführer im
Konzern, hatte sich an der Diesel­
affäre verbrannt. Ein scheinbar hoff­
nungsloser Fall. Kollegen rieten ihr
sogar, den jahrzehntealten Slogan
»Vorsprung durch Technik«, der in
großen Lettern an der Ingolstädter
Firmenzentrale prangt, abzuschaffen. Simon Hage n

Den Spruch nehme sowieso keiner
mehr ernst.
Am Ende war der Werbeslogan so
ziemlich das Einzige, was vom alten
Audi übrig blieb. Die Marke verkün­
dete, als erster deutscher Hersteller,
den Abschied vom Verbrenner von
2032 an und setzte voll auf Elektro­
mobilität. Die Investitionen für Brenn­
stoffzelle und Gasantrieb, als dessen
Vorreiter sich Audi lange begriff, spar­
te die neue Führungsspitze kurzer­
hand zusammen.
Drei ehemalige BMW­Manager
setzten den Wandel gegen alle inter­
nen Widerstände durch: Audi­Chef
Markus Duesmann, VW­Konzern­
boss Herbert Diess – und Hildegard
Wortmann. Die schwor vor allem die
Vertriebspartner auf den neuen Kurs
ein. »Wir können nicht einfach so wei­
termachen wie in den vergangenen
100 Jahren«, schmetterte sie den ver­
dutzten Audi­Händlern entgegen.
Nicht jeder war von solchen Ansagen
begeistert.
Manche Händler warfen Audi in­
direkt vor, sich auf ihre Kosten zu sa­
nieren. Während der Hersteller vom
neuen Kurs profitierte und 2021 wie­
der üppige Renditen einfuhr, ächzten
viele Autohäuser weiter unter der
Coronakrise. In den Zufriedenheits­
rankings der Vertriebspartner sackte
Audi zeitweise ab, wohl auch weil
viele sich von der geforderten Um­
stellung auf Elektroantrieb und Digi­
talvertrieb überfordert fühlten.
Wortmann redet lieber über die
Positivbeispiele: einen Händler im
Bayerischen Wald etwa, der neben
seinen Verkaufsflächen einen Elektro­
fachbetrieb mit neu eingestellten Spe­
zialisten aufgebaut hat, was einen
Rundumservice samt Installation und
Instandhaltung von Wallboxen er­
möglicht. Oder das kleine Traditions­
haus Warncke im niedersächsischen
Tarmstedt, das seinen Absatz bereits
zu fast zwei Dritteln mit Batterieautos
bestreitet.
Tatsächlich denken viele Händler
gerade um. Auf Branchentreffen dis­
kutieren sie sogar bislang undenk bare
Szenarien wie den »möglichen Aus­
stieg aus der Individualmobilität im
urbanen Raum«, wie ein Vertriebler
es formuliert.
Einige erwägen, künftig Autos zu
vermieten, Bikes zu verleasen und
Lastenräder zu verkaufen.
Wortmann begrüßt das. »Die To­
nalität ist jetzt deutlich zukunftsge­
wandter.« Das Foto von Muhammad
Alis K.­o. ­Schlag hat sie jedenfalls
schon lange nicht mehr in eine Prä­
sentation eingebaut.

4,8

18,1

Weibliche
Vorstandsmitglieder
nach Branchen,
Anteil in Prozent

Telekommunikation

Automobilbranche

Energieversorger

Finanzbranche

Handel

1 9, 2

18 , 8

17 , 6

15 , 9

15 , 6

SQuelle: EY Mixed
Leadership-Barometer

Mangel-
erscheinung

Anteil von Frauen in
Dax-Vorständen,
in Prozent

2014 2018 2022

0

10

20

Mini Cooper 2001,
Konzernzentrale in
Wolfsburg: »Das
Prinzip Autoquartett
ist auf die Dauer
nicht mehr tragbar«

Sina Schuldt / dpa

CAMERA PRESS / ddp

2022-09SPAllWirtschaft613752209_VW-ManagerinWortmann20-068069 692022-09SPAllWirtschaft613752209_VW-ManagerinWortmann20-068069 69 24.02.2022 21:04:5324.02.2022 21:04:53

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