Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
AUSLAND

74 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

»Bist du für Trump?«, fragt Prit-
chard wieder. Und dann: »Kannst du
mal helfen?«
Es ist schwer, sich einen größeren
Trump-Fan vorzustellen als den
55-Jährigen. Die Einfahrt zu seinem
Haus in Northampton County, Penn-
sylvania, säumt damals eine Allee aus
Trump-Schildern. Drinnen hat er eine
Art Schrein aufgebaut, mit Tassen,
einem Foto und einem Brettspiel des
Präsidenten. Fast jedes Gespräch mit
Pritchard nimmt irgendwann eine Ab-
zweigung und führt zu Trump.
Pritchard teilt mit Trump nicht nur
die ungesunde Gesichtsfarbe und die
Vorliebe für Baseballcaps mit dem
Schriftzug »Make America Great
Again«. Die beiden Männer verbin-
den auch ihre Überzeugungen. Prit-
chard verachtet »Eliten« und Beamte,
schimpft auf illegale Einwanderer und
glaubt, dass Männer in der Hierarchie
der Menschheit über Frauen stünden.
»So sagt es die Bibel«, erklärt er oft,
als wäre sie das einzige Gesetzbuch,
an das er glaubt. Pritchard wirkt laut
und grob wie Trump, und wie einst
sein großes Vorbild verdient er sein
Geld in der Baubranche.

»Ich liebe ihn einfach«, sagt Prit-
chard einmal und stockt dann kurz,
weil er – Holzfällerhemd, schwere
Stiefel – das nicht falsch verstanden
haben will. »Du weißt schon, nicht
auf diese Art. Aber ich liebe ihn.«
Tatsächlich trennt Trump und Prit-
chard damals genauso viel, wie sie
verbindet: Milliarden US-Dollar, Mil-
lionen Twitter-Follower und jede
Menge Macht. Der eine ist US-Präsi-
dent und fliegt um die Welt, der an-
dere lebt als Arbeiter in der Provinz
und hat die Vereinigten Staaten noch
nie verlassen. Trump wurde in New
York geboren, Pritchard verachtet alle
Großstädte. Und während Trump in
dritter Ehe verheiratet ist, hat Prit-
chard keine Partnerin. Er lebt bei sei-
ner Mutter und scheint im Herbst
2020 seine gesamte Energie Trumps
Wahlkampf zu widmen.
Im Oktober vor der US-Wahl
klopft er stundenlang an Haustüren,
um die Bewohner zu überzeugen,
Trump zu wählen. Verteilt samstags
ab dem frühen Morgen Flyer an Pas-
santen. Steht nachmittags auf einem
Parkplatz vor einem Matratzenladen
und schwenkt eine Flagge mit dem
Konterfei des Präsidenten.
Dabei muss er kaum einen seiner
Freunde und Bekannten überreden:
Fast alle Menschen, die er kennt, ver-
göttern Trump. In Northampton
County, Pritchards Wahlbezirk, säu-
men Backstein- und Holzhäuser die
Straßen, Kirchen laden mehrfach pro
Woche zum Gottesdienst. Sie beten
für die Zukunft des Landes, und Prit-
chard ist sich in diesem Oktober 2020
noch sicher, dass es weiterhin eine
Zukunft unter Trump sein wird.
»Alle, mit denen ich rede, wollen ihn
wählen«, sagt er. »Wie könnte er da
verlieren?« Für Pritchard ist nur real,
was er selbst sieht oder hört.
Er glaubt nicht an Corona, weil er
das Virus nicht sehen kann. »200 000
Tote? Wo sollen die alle sein?« Er hält
den Klimawandel für eine Erfindung:
Wie könne sich die Atmosphäre auf-
heizen, wenn gleichzeitig im Winter

N


eun Monate nachdem Donald
Trump als Präsident der USA
abgewählt wurde, steht Jerry
Pritchard auf der Terrasse seines Hau-
ses und weint. Tränen laufen über
seine Wangen und tropfen vom Kinn
auf die Krawatte. Er hat sie extra für
diesen Tag angezogen: Es ist ein
Sonntag im August, und Pritchard
will in die Kirche, wie fast jede Wo-
che. Doch heute schafft er es nicht
pünktlich zum Gottesdienst, weil ihn
die Traurigkeit überkommt.
»Mein Land geht unter«, schluchzt
Pritchard. Er blickt über die Hügel
von Pennsylvania, die sich hinter sei-
nem Haus erheben: Kastanienhaine,
grüne Weiden bis zum Horizont. Prit-
chard zieht die Nase hoch, schluckt.
Auf seiner Krawatte, die benetzt ist
von Tränen, prangt ein rot-weiß-blau-
er Elefant: das Symbol der Republi-
kanischen Partei.
Am 3. November 2020 wurde die
Welt von Jerry Pritchard erschüttert.
Vier Tage später brach sie zusammen:
Nach einer langen Auszählung stand
fest, dass Joe Biden der nächste US-
Präsident wird. Seitdem sucht Prit-
chard nach Orientierung und Sinn.
Die Suche führt ihn aus einer Klein-
stadt in Pennsylvania bis vor das Ka-
pitol in Washington.
Es ist die Geschichte eines wüten-
den Mannes, der sein Land nicht
mehr versteht – so wie Millionen
Konservative, die sich ein Amerika
unter Donald Trump zurückwün-
schen.

Herbst 2020
»Wählst du Trump?«
Das ist das Erste, was Pritchard
wissen will. Keine Begrüßung könnte
wichtiger sein als die Frage: Bist du
für oder gegen uns?
Es ist Oktober 2020, Pritchard
steht an einer Landstraße in Pennsyl-
vania und kämpft mit einem meter-
hohen Trump-Plakat, das einfach
nicht gerade stehen will. In wenigen
Wochen entscheidet sich, wer der
neue US-Präsident wird.

»Als Trump
ins Amt kam,
war es, als
würde er
sagen: Ich
gebe dir, Jerry
Pritchard,
die Macht.«
Jerry Pritchard

Fremd im eigenen Land


USA Donald Trump hat als Präsident seine Nation tief gespalten. Er kokettiert bereits mit einem
Comeback – und viele Amerikaner verehren ihn bis heute wie einen Heiligen. Warum?
Der SPIEGEL hat einen Trump-Anhänger mehr als ein Jahr lang begleitet. Von Alexandra Rojkov

.

Trump-Ecke in
Pritchards Haus:
»Ich liebe
ihn einfach«

Sara Naomi Lewkowicz / DER SPIEGEL

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