Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
AUSLAND

80 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

SPIEGEL: Herr Kogler, Ihre Regierung hat
in zwei Jahren zwei Kanzler verschlissen,
die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mit­
glieder Ihres Koalitionspartners, der ÖVP,
viele Bürgerinnen und Bürger fordern Neu­
wahlen. Die Stimmung in der Koalition ist
angespannt. Wie lange halten die Grünen das
noch durch?
Kogler: Bis zum Ende der Legislaturperio­
de, hoffe ich. Wir haben noch viel vor, und
wir sind ja nicht als Stimmungskanonen
gewählt worden, sondern wollen etwas
bewegen.

SPIEGEL: Sie wollten den Staat transparenter
gestalten und Korruption eindämmen. Warum
ist Ihnen das bislang nicht gelungen?
Kogler: Es wird so viel aufgeklärt wie noch
nie. Politik ist das Bohren harter Bretter, hat
Max Weber mal zutreffend festgestellt. Wenn
es keine Pandemie gäbe und wir Grüne allein
regieren würden, wären wir sicher weiter.
Aber wir müssen uns nun mal abstimmen mit
unserem Koalitionspartner.
SPIEGEL: Die Kanzlerpartei bremst?
Kogler: Die ÖVP hat andere Prioritäten und
ihr eigenes Tempo. Aber es geht voran: Vor

wenigen Tagen haben wir den Entwurf für
eine neue Parteienfinanzierung vorgelegt, die
für Österreich revolutionär ist: Komplette
Offenlegung und Begrenzung bei Spenden
und Wahlkampfkosten; außerdem wird es
empfindliche Strafen bei Verstößen geben.
Der Rechnungshof kann künftig die Bücher
der Parteien einsehen.
SPIEGEL: Unternehmen können Parteien
trotzdem weiter Wohltaten bescheren, etwa
indem sie Inserate schalten oder Veranstal­
tungen sponsern.
Kogler: Aber das wird dann öffentlich. Versteckt
kann nichts mehr werden. Es geht um fairen
Wettbewerb der Parteien und Transparenz.
SPIEGEL: Etliche Reformen sind liegen geblie­
ben, etwa das Informationsfreiheitsgesetz.
Kogler: Länder und Gemeinden blockieren,
auch das sozialdemokratische Wien gehört
dazu. Man muss mal diejenigen Damen und
Herren beim Namen nennen, die keine Trans­
parenz wollen. Es kann doch nicht sein, dass
wir uns als Koalition ständig rechtfertigen
müssen, weil andere sich querstellen.
SPIEGEL: Im Wahlkampf stellten die Grünen
heraus, sie seien die Partei des »Anstands«.
Und dann haben Sie sich in einer geheimen
Nebenvereinbarung mit Sebastian Kurz über
Spitzenpersonalien unter anderem beim öf­
fentlich­rechtlichen Rundfunk ORF verstän­
digt. Wie passt das zusammen?
Kogler: Mir ist klar, dass ich damit in der Form
unseren grünen Ansprüchen nicht gerecht
wurde – das tut mir leid.
SPIEGEL: Warum haben Sie das dann gemacht?
Kogler: Die Absicht war, als Regierungs­
neulinge einige Sicherungen gegenüber der
Machtmaschine ÖVP einzuziehen. Wir wuss­
ten, dass die Vorgängerregierung aus Kurz’
ÖVP und der rechten FPÖ eine Zerschlagung
und die parteipolitische Umfärbung im ORF
bis in die dritte Reihe geplant hatte. Aufgrund
der Mehrheiten im ORF­Stiftungsrat wollten
wir ähnlichen Entwicklungen mit der Neben­
vereinbarung einen Riegel vorschieben.
SPIEGEL: So groß war das Misstrauen gegen­
über dem Koalitionspartner?
Kogler: Wir wollten vor allem nicht naiv an
die Sache herangehen. Wir ahnten damals
allerdings nicht, was später noch ans Licht
kommen sollte: schwere Korruptionsvorwür­
fe gegen hochrangige Personen und Chats,
die ein fragwürdiges Sittenbild zeichnen.
SPIEGEL: Regierte es sich angenehm mit dem
damaligen Kanzler Kurz?
Kogler: Ja, das habe ich über weite Strecken so
empfunden. Das Arbeitsklima war nicht nur
tragfähig, sondern gut. Gerade im ersten Jahr
der Pandemiebekämpfung hat sich das positiv
ausgewirkt, wir haben zügig und kon struktiv
Entscheidungen getroffen. Was ich Kurz wirk­
lich abnahm, war sein Wille zu dieser bis dato
nie da gewesenen Koalition: Er wollte Türkis­
Grün, allen Unterschieden zum Trotz.
SPIEGEL: Die ÖVP musste sich bislang auch
weniger verbiegen als die Grünen, etwa in
der Migrationspolitik. Die vom damaligen
Innenminister und jetzigen Kanzler Karl

»Kurz ist an sich selbst


gescheitert«


ÖSTERREICH Machen die Grünen in Wien alles mit, um zu regieren? Nein,
sagt Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler, 60. Er selbst habe den Rück-
zug des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz entscheidend vorangetrieben.

Politiker Kogler
Ingo Pertramer / DER SPIEGEL

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