Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
AUSLAND

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 81

Nehammer öffentlichkeitswirksam forcierten
Abschiebungen von Wiener Schülerinnen ha­
ben Sie zwar als »unmenschlich« kritisiert,
aber es folgten keine Konsequenzen.
Kogler: Einspruch! Im Gegensatz zu früheren
Koalitionen enden viele ähnlich gelagerte
Bleiberechtsfälle positiv für die Kinder – aber
eben ohne mediale Aufmerksamkeit.
SPIEGEL: Was antworten Sie Kritikern, die
Ihnen vorwerfen, alles mitzumachen, nur um
an der Macht zu bleiben?
Kogler: Macht ist immer ein Mittel zum Zweck
der Gestaltung, wenn sie nachhaltig sein soll.
Wir sehen die Gestaltungsmöglichkeiten und
nutzen sie als kleinerer Partner. Die Grünen
sind die Garanten dafür, dass die Staats­
anwaltschaften vor politischen Eingriffen ge­
schützt sind. Für die in den letzten Jahrzehn­
ten massiv unterfinanzierte Justiz haben wir
viele Millionen zusätzlich herausverhandelt.
SPIEGEL: Den Rechtsstaat zu schützen ist
keine genuin grüne Politik.
Kogler: Es ist sogar ein Wesenskern grüner
Politik. In den vergangenen zwei Jahren
haben wir aber auch typisch grüne Inhalte
durchgesetzt. Dazu zählt das Klimaticket, mit
dem man günstig in ganz Österreich für drei
Euro pro Tag alle öffentlichen Verkehrsmittel
nutzen kann. Die Steuerreform, die weit in
die Zukunft hineinstrahlt: Wir haben nicht
nur eine CO 2 ­Bepreisung eingeführt, so wie
in Deutschland. Die Einnahmen, die hier ge­
neriert werden, verteilen wir als Klimabonus.
Menschen und Haushalte mit geringeren Ein­
kommen haben so mehr Netto.
SPIEGEL: Was passiert, wenn die Rohstoff­ und
Energiepreise steigen, etwa wegen Russlands
Angriff auf die Ukraine?
Kogler: Dafür gibt es einen Mechanismus:
Wenn die Teuerung zunimmt, dann steigt der
CO 2 ­Preis geringer. So ein ökosoziales Modell
gibt es bislang in keinem anderen Land, damit
ist Österreich Avantgarde.
SPIEGEL: Braucht es für solche Großprojekte
eine Koalition mit den Konservativen?
Kogler: Ich glaube, ja. Meine politische Le­
bensaufgabe ist es, Umwelt und Ökonomie
unter einen Hut zu bringen. Und das ist die
große gemeinsame Leistung dieser Koalition.
Die Sozialdemokraten haben in großen öko­
logischen Fragen historisch anfangs immer
auf der falschen Seite gestanden. Für die Zu­
kunft habe ich Hoffnung.
SPIEGEL: Die ÖVP reagierte auf die Korrup­
tionsvorwürfe zunächst mit Attacken gegen
die Staatsanwaltschaft. Haben Sie darüber
mit Kurz gesprochen?
Kogler: Ja, ich habe dem Bundeskanzler klipp
und klar gesagt, dass diese Angriffe einzu­
stellen sind.
SPIEGEL: Im vergangenen Herbst weiteten
sich die Ermittlungen der Korruptionsstaats­
anwaltschaft auf Kurz und sein engstes Um­
feld aus. Wie haben Sie diese Tage erlebt?
Kogler: Eine gewisse Irrationalität oder Ner­
vosität war aufseiten der ÖVP schon wahr­
nehmbar, aber die Regierungsarbeit ging er­
gebnisorientiert voran.

SPIEGEL: Ab wann wussten Sie, dass Sie mit
Kurz nicht mehr weiterregieren wollten?
Kogler: Der Augenblick kam erst am Abend
des 6. Oktober. Tagsüber haben wir noch die
Steuerreform vorgestellt; es gab eine Presse­
konferenz im Kanzleramt, allerdings ohne
Kurz, weil der noch beim EU­Gipfel war. Zu
diesem Zeitpunkt kannte ich vor allem die
ersten Medienberichte, die schon schockie­
rend waren. Am späteren Nachmittag habe
ich dann die Anordnung der Ermittler zu den
Hausdurchsuchungen und die sichergestellten
Chats gelesen. Nach dieser Lektüre hatte ich
die Gewissheit, dass die Vorwürfe unerträg­
lich sind – und dabei ging es mir nicht nur um
die strafrechtliche Relevanz.
SPIEGEL: Wie ging es dann weiter?
Kogler: Wir haben uns im vertrauten Kreis
hier im Ministerium getroffen. Uns war da­
mals schnell klar, dass Sebastian Kurz nicht
Bundeskanzler bleiben kann. Wenn solche
Vorwürfe gegen einen Politiker im Raum ste­
hen, dann ist er vor allem mit seiner Vertei­
digung beschäftigt und entsprechend in seiner
Handlungsfähigkeit und damit der Amtsfähig­
keit stark eingeschränkt.
SPIEGEL: Wann haben Sie ihm Ihre Haltung
offenbart?
Kogler: Ich habe eine Nacht über den Ent­
schluss geschlafen. Dann habe ich ihn am
nächsten Tag, es war ein Donnerstag, ange­
rufen.
SPIEGEL: Daraufhin hat Kurz sich von seinen
Ministern und den Landeshauptleuten öffent­
liche Loyalitätsbekundungen eingeholt. Sie
haben unterdessen mit den Oppositions­

parteien SPÖ, den liberalen Neos und der
FPÖ Gespräche aufgenommen. Hätten Sie
als Grüner tatsächlich mit der rechtsradikalen
FPÖ paktiert?
Kogler: Es ging mir nicht um eine echte Koa­
lition, wohl aber um Parlamentsmehrheiten,
um Projekte wie die Steuerreform und den
Haushalt zu sichern. Es ging um Stabilität in
einer Krise.
SPIEGEL: Sebastian Kurz, die konservative
Lichtgestalt, der Teflon­Kanzler, der lange als
unbezwingbar galt, ist also an Werner Kogler
gescheitert.
Kogler: Es war nicht meine Absicht, jemanden
scheitern zu lassen. Mir ging es darum, das
Richtige und Notwendige zu tun, um politi­
sche Stabilität zu gewährleisten. Kurz und
sein engster Kreis sind an sich selbst ge­
scheitert.
SPIEGEL: Mit Kurz’ Abschied aus der Politik
enden die Affären um Vetternwirtschaft und
Bestechlichkeit nicht. Die Ermittlungen laufen
weiter. Am 2. März beginnt außerdem ein
Untersuchungsausschuss. Bundeskanzler Ne­
hammer versichert, seine Partei habe kein
Korruptionsproblem.
Kogler: Man muss unterscheiden, welche Pe­
riode er meint. Wenn es um die Zeit seit der
letzten Wahl geht, dann kann er schon richtig­
liegen. Davor ging es mutmaßlich nicht immer
mit rechten Dingen zu.
SPIEGEL: Gegen den bisherigen Parteichef und
Ex­Kanzler, den Ex­Finanzminister und fast
ein Dutzend anderer wichtiger ÖVP­Mitglie­
der laufen Ermittlungen. Und das soll kein
Korruptionsproblem sein?
Kogler: Für uns ist entscheidend: Nehammer
und die aktuelle ÖVP­Regierungsriege sind
unbelastet. Attacken auf die Justiz kommen
auch keine mehr. Wir befinden uns in einem
Klärungsprozess, der für manche schmerz­
haft, aber für eine lebendige Demokratie und
einen starken Rechtsstaat notwendig ist.
Interview: Oliver Das Gupta n

Demonstrierende am 7. Oktober 2021 in Wien: »Eine gewisse Irrationalität«

»Es ging nicht immer
mit rechten Dingen zu.«

Georges Schneider / action press

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