Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
SPORT

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 89

SPIEGEL: Bei denen Sie als große Fa-
voritin gelten. Sie starten in allen fünf
alpinen Disziplinen. Im Januar holten
Sie vier Weltmeistertitel. Wie groß ist
der Druck?
Forster: Der ist deutlich größer als in
der Vergangenheit. Bei meinen ersten
Paralympics in Sotschi war ich das
Küken, auch 2018 in Pyeongchang
stand ich noch nicht im Fokus. Zuletzt
hatte ich dann schon mit der gestie-
genen Erwartungshaltung zu kämp-
fen. Seit neun Monaten arbeite ich
deshalb mit einer Mentaltrainerin zu-
sammen.
SPIEGEL: Was besprechen Sie mit ihr?
Forster: Ich beschreibe, wie es mir ge-
rade geht und wie ich mich fühle.
Dann versuchen wir, das Gefühl in
etwas Positives umzuwandeln. Druck
hört sich immer so negativ an, eigent-
lich ist das was Tolles. Den Druck
habe ich ja nur, weil die Leute an mich
glauben.
SPIEGEL: Die Arbeit mit einer Mental-
trainerin zeigt, dass sich der Parasport
professionalisiert.
Forster: Ja, da hat sich einiges getan.
Die Sportförderungen wurden an die
der Olympiateilnehmer angeglichen.
Außerdem bin ich beim Zoll ange-
stellt. Bis zum Sommer habe ich Psy-
chologie studiert und meinen Bache-
lor gemacht. Jetzt kann ich mich voll
auf den Sport konzentrieren, ohne
sofort weiterstudieren zu müssen.
Das war früher nicht möglich.
SPIEGEL: Die Monoskifahrerin Anna
Schaffelhuber beendete 2019 nach sie-
ben Goldmedaillen ihre Karriere und
warnte, dass Deutschland in Ihrem
Sport den Anschluss an die Weltspitze
zu verlieren drohe. Zu Recht?
Forster: Ja. Wir hatten jahrelang kein
Nachwuchsteam, da wurde einiges
verschlafen. Die Bundesländer sollten
sich darum kümmern, nur lohnt es
sich für einen oder zwei Sportler
nicht, Lehrgänge zu veranstalten. Seit
knapp drei Jahren haben wir im Ver-

band eine Nachwuchstrainerin, dieser
Schritt kam viel zu spät. Wir werden
die nächsten Jahre wohl eine Durst-
strecke haben.
SPIEGEL: Bei den Paralympics im
Sommer landete Deutschland im
Medaillen spiegel nur auf Rang zwölf,
deutlich hinter kleineren Ländern wie
den Niederlanden, die im Umgang
mit behinderten Sportlern weiter zu
sein scheinen.
Forster: Bei uns gibt es tatsächlich noch
einiges zu tun. Es reicht nicht, immer
nur von Inklusion zu sprechen. Ich
trainiere am Stützpunkt in Freiburg,
der ist behindertengerecht. Aber es
gibt auch Stützpunkte, an denen zum
Beispiel der Kraftraum nicht barriere-
frei ist. Da muss ein Behindertensport-
ler selbst schauen, wo er trainiert.
SPIEGEL: Bekommen Parasportler ge-
nügend Wertschätzung?
Forster: Wir stehen alle vier Jahre im
Fokus, ansonsten nie. Auch manche
Events sind traurig. Bei der Para-
Alpinski-WM 2019 in Kranjska Gora
und Sella Nevea gab es weder einen
Aufenthaltsraum noch ordentliche
Toiletten für uns. Da fühlt man sich,
als wäre man nichts wert.
SPIEGEL: Ein Schokoladenproduzent
soll Sie bei der Sponsorensuche mal
mit einer Tüte Süßigkeiten und der
Bemerkung abgespeist haben, man
sei schon sozial engagiert.
Forster: Ja, das stimmt leider. Mittler-
weile habe ich Sponsoren, die mich
sehr unterstützen. Das liegt vor allem
daran, dass ich in den letzten Jahren
erfolgreich war. Aber es kommt leider
selten vor, dass Firmen von sich aus
auf mich zukommen und eine Koope-
ration möchten. Da muss man als
Athlet schon selbst aktiv werden.
SPIEGEL: Sie sind auf Unterstützung
angewiesen, Monoski sind teuer.
Forster: Das Gerät selbst kostet
6000 Euro, dann die angepasste Sitz-
schale noch mal locker 10 000 Euro.
Die Herstellung ist sehr aufwendig,
jeder Monoski muss ja individuell an-
gepasst werden.
SPIEGEL: Wäre es sinnvoll, die Olym-
pischen und die Paralympischen Spie-
le gleichzeitig auszutragen, um die
paralympischen Sportler bekannter
zu machen?
Forster: Das wäre keine gute Idee. Wir
würden im Trubel untergehen. Ich
fände es wichtiger, die Paralympics
besser zu bewerben. Als die Olympi-
schen Spiele in Peking zu Ende gin-
gen, hieß es: Das Feuer ist erloschen,
in vier Jahren geht es in Mailand wei-
ter. Warum sagt keiner: »Hey, in zwei
Wochen sind hier die Paralympics, da
gibt es tollen Sport zu sehen«?

Zwei Wochen nach den Olympischen
Spielen beginnen in Peking die Para-
lympics. Angeführt wird das deutsche
Team von der Monoskifahrerin Anna-
Lena Forster. Die 26-Jährige aus
Radolf zell am Bodensee holte 2018
in Pyeongchang zweimal Gold. Seit
ihrer Geburt fehlt ihr das rechte Bein,
das linke ist stark verkürzt. Ihre El-
tern nahmen sie dennoch mit auf die
Skipiste.

SPIEGEL: Frau Forster, vor einigen
Wochen sagten Sie, dass die Vorfreu-
de auf die Paralympics in Peking bei
Ihnen noch nicht so groß sei. Wie ist
es jetzt, rund eine Woche vor Beginn
der Spiele?
Forster: Langsam kribbelt es, von mir
aus könnte es sofort losgehen. Ich
habe Lust, endlich rüberzufliegen und
meine Wettkämpfe zu bestreiten.
Aber natürlich fliegt die Angst mit,
dass es mir geht wie Eric Frenzel.
SPIEGEL: Der mehrmalige Weltmeis-
ter in der Nordischen Kombination
wurde nach seiner Ankunft positiv
auf Corona getestet und verbrachte
dann elf Tage im Quarantänehotel.
Forster: Das wäre der Worst Case.
Und das Schlimmste ist, dass ich es
nicht selbst in der Hand habe. Man
kann seine Kontakte reduzieren und
vorsichtig sein, aber eine hundertpro-
zentige Sicherheit gibt es nicht. Das
ist eine Lotterie.
SPIEGEL: China steht auch wegen sei-
ner problematischen Menschen-
rechtssituation in der Kritik. Beschäf-
tigt Sie das?
Forster: Natürlich, wir hatten ein Tref-
fen mit Vertretern einer Menschen-
rechtsorganisation. Wir wissen, wie
die Lage vor Ort ist. Das ist heftig.
Aber wenn wir in China sind, dann
müssen wir uns auf unsere Wettkämp-
fe fokussieren. Interview: Jonas Kraus n

»Druck ist


eigentlich etwas


Tolles«


PARALYMPICS Die mehrmalige Skiweltmeisterin
Anna-Lena Forster über China und
fehlende Wertschätzung in der Heimat

Skifahrerin Forster
bei der Para-
WM im Januar in
Lillehammer:
»Als wäre man
nichts wert«

Sammy Minkhoff

Ralf Kuckuck / picture alliance

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