Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
WISSEN

98 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

in die Arbeit investiert«, sagt Tian­
yang Mao, ebenfalls einer der Erfin­
der, »wir haben unsere Seele in dieses
Projekt gesteckt.«
Auch Mao geht davon aus, dass
die Menschheit noch Auffrischungs­
impfungen brauchen wird. Umso
wichtiger wären Vakzinen, die den
Erreger bereits beim Eintritt in den
Körper mit voller Wucht bekämpfen.
Genau dazu sollen die Nasenimpf­
stoffe dienen.
Viele der dafür entwickelten Mittel
sind Vektorimpfstoffe, manche sind
Proteinbruchstück­Vakzinen mit
einem Wirkverstärker; aber auch
mit abgeschwächten Viren wird intra­
nasal experimentiert. Im Prime­and­
Spike­Verfahren aus Yale wird zu­
nächst ganz normal mit einem
mRNA­Impfstoff wie dem von Bion­
tech geimpft – und dann intranasal
mit dem sogenannten Spikeprotein
des Erregers geboostert. »Die Idee
hinter unserem Ansatz ist«, erklärt
Mao, »dass wir uns die Immunität
zunutze machen, die bereits durch
frühere Impfungen entstanden ist,
und sie dann gezielt auf die Nasen­
schleimhaut umleiten.«
»Die intranasale Impfung ist die
Zukunft«, sagt Volker Gerdts. Aber
die Zulassung sei komplizierter als
bei der Spritze in den Oberarm. Das
sei zwar das bewährte Verfahren; des­

I


m sozialen Netzwerk Twitter
postet ein Witzbold unter dem
Satire­Account »Omicron aka
B.1.1.529« seit Ende November regel­
mäßig Nachrichten aus der Perspek­
tive der Omikron­Variante. Das Virus
rief dort zu Weihnachtseinkäufen in
der Innenstadt auf (»Man sieht
sich!«), freute sich riesig auf Weiber­
fastnacht und feixte vor ein paar Ta­
gen darüber, die Queen ebenso er­
wischt zu haben wie den Präsidenten
des Festkomitees Kölner Karneval.
Der Scherzkeks verbreitet neben­
bei eine bittere Wahrheit: Auch wenn
jetzt in immer mehr Ländern die Co­
ronamaßnahmen fallen, ist der Kampf
gegen das Virus noch nicht entschie­
den. Zwar haben Impfstoffe die Situa­
tion deutlich entschärft, weil sie in
den meisten Fällen einen schweren
Krankheitsverlauf verhindern. Doch
der Erreger mutierte so schnell, dass
die Vakzinen bei der Omikron­Va­
riante die Ansteckungsketten kaum
noch unterbrechen können. Zudem
lässt die Schutzwirkung der Impfung
schneller nach als erhofft. Und es
könnten in den kommenden Monaten
weitere Varianten auftauchen, die
möglicherweise wieder gefährlicher
sind als Omikron.
Die meisten Experten gehen folg­
lich davon aus, dass es in Zukunft
Auffrischungsimpfungen brauchen
wird. »Ob jedes Jahr oder nur alle
paar Jahre, hängt jetzt davon ab, was
2022 noch alles passiert«, sagt Volker
Gerdts, Direktor der kanadischen
Impforganisation VIDO. Mit Hoch­
druck arbeiten Forscher wie Gerdts
deshalb an ganz neuen Generationen
von Impfstoffen, die gleichermaßen
gut gegen unterschied liche Varianten
wirken und am besten auch die Infek­
tion selbst verhindern sollen.
Schutz vor Ansteckung erhoffen
sich die Forscher vor allem von soge­
nannten intranasalen Impfstoffen, die
in die Nase gesprayt oder mitunter auch
getropft werden. 15 Studien über den
Einsatz solcher Stoffe bei Menschen
listet die Datenbank Clinical trials.gov

bereits auf, darunter auch eine mit
dem AstraZeneca­Impfstoff. Mehr als
30 intranasale Impfstoffe befinden
sich laut dem Fachblatt »Lancet« in
einem vorklinischen Stadium der Ent­
wicklung.
»Die Idee an der intranasalen Imp­
fung ist, die Immunität direkt in der
Nasenschleimhaut, in den Atemwe­
gen und in der Lunge zu stärken, um
eine Infektion zu verhindern, bevor
sie sich im Körper ausbreiten kann«,
so Benjamin Goldman­Israelow von
der Yale University School of Medi­
cine. Der Mediziner ist einer der Er­
finder des »Prime and Spike«­Ver­
fahrens, einer Booster­Impfung durch
die Nase, die derzeit an Tieren er­
probt wird. »Wir haben seit Anfang
vergangenen Jahres zahllose Stunden

»Wir haben
unsere Seele
in dieses
Projekt
gesteckt.«
Tianyang Mao,
Wissenschaftler an
der Yale University

Boostern durch die Nase


CORONA Die bisherigen Impfstoffe schützen oft nur gegen schwere Verläufe.
Pharmaforscher entwickeln deshalb neue Vakzinen, die auch Ansteckungen
verhindern sollen – können sie künftige Pandemien frühzeitig stoppen?

Impfstoffforschung an der Universität Tours in Frankreich: Starke Abwehrtruppen an vorderster Front

Stephane Mahe / REUTERS

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