WISSEN
Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 99
halb habe man auch bei Sars-CoV-2 so an-
gefangen.
Doch die vielen Durchbruchsinfektionen
- auch schon vor der Omikron-Welle – deu-
teten darauf hin, dass man mit einer Impfung
in einen Muskel »nicht unbedingt die best-
mögliche Art von Immunreaktion« hervor-
rufe, so Mao. Nach einer intramuskulären
Impfung würden Antikörper produziert, die
dann in der Blutbahn kreisten. Das sei ver-
gleichbar mit Schutzwächtern innerhalb der
Burgmauern: gut und hilfreich, nur dauert es,
bis sie am Einsatzort eintreffen; bis dahin hat
der infizierte Mensch mehr oder weniger hef-
tige Krankheitssymptome und kann andere
anstecken.
Viel schneller reagierten große Mengen
an sogenannten IgA-Antikörpern, die auf
den Schleimhäuten von Nase, Rachen und
Lunge bereitstünden, vor dem eigentlichen
Eingangstor zum Körper – starke Abwehr-
truppen an vorderster Front. »Aus diesem
Grund müssen wir unserem Nasengewebe
direkt Signale geben mit der Botschaft:
Hier sollte das IgA produziert werden«, so
Mao. Genau das geschehe bei der intranasa-
len Impfung.
Versuche an Mäusen in Yale haben bereits
gezeigt, dass das Prime-and-Spike-Verfahren
funktioniert: Auf den Schleimhäuten der
Nager wurden nicht nur reichlich IgA-Anti-
körper gebildet, auch die sogenannte T-Zell-
Antwort in den Zellen der Nasen- und Ra-
chenschleimhaut, die eindringende Viren früh
eliminieren soll, wurde infolge der Intranasal-
impfung hochgefahren. Mit dieser Technik
geimpfte Mäuse, die anschließend mit Sars-
CoV-2 infiziert wurden, erkrankten im Ver-
gleich mit Tieren, die nur intramuskulär ge-
impft worden waren, weniger schlimm oder
gar nicht – und keine starb. Klinische Studien
am Menschen könnten in zwei bis drei Jahren
beginnen, schätzt Maos Kollege Goldman-
Israelow.
Die Nasenimpfung schützt aber womöglich
nicht nur besser vor Ansteckung. Aus den
Tierversuchen ergeben sich zudem Hinweise
darauf, dass die neue Methode eine besonders
breite Immunität gegen sehr unterschiedliche
Varianten und vielleicht sogar gegen ganz
andere Coronaviren erzeugen könnte. In
einem Experiment verabreichten die Forscher
den Versuchstieren einen intranasalen Sars-
CoV-1-Booster – aus dem Spikeprotein jenes
früheren Coronavirus, das 2002 und 2003 um
die Welt ging und wieder verschwand. »Die
Mäuse begannen, Antikörper sowohl gegen
Sars-CoV-1 als auch gegen Sars-CoV-2 zu bil-
den«, erklärt Mao. Aus diesen Laborexperi-
menten schöpfen die Forscher die Hoffnung,
nasale Impfstoffe auch besser an künftige,
vielleicht gefährlichere Varianten anpassen
zu können.
Mögliche neue Mutanten sind derzeit die
Hauptsorge vieler Virologen. Am Beispiel der
Omikron-Variante zeigt sich, dass es doch
recht lange dauert, die bisherigen Impfstoffe
an das veränderte Virus anzupassen. Die
deutsche Firma Biontech kündigte zuletzt an,
dass es wahrscheinlich bis Mai dauern werde,
bis der Omikron-Impfstoff fertig sei. Das US-
Unternehmen Moderna rechnet sogar erst im
Sommer mit der Auslieferung der Omikron-
Vakzine.
Modernas Chief Medical Officer Paul Bur-
ton hält es für denkbar, für den kommenden
Winter eine Kombinationsimpfung gegen die
Delta- und die Omikron-Variante anzubieten.
»Wir versuchen herauszufinden, was im Win-
ter wirklich Probleme verursachen könnte«,
so Burton gegenüber dem SPIEGEL. »Wir
sollten gut vorbereitet sein.«
Mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) ver-
suchen die Moderna-Forscher herauszufin-
den, in welche Richtung das Virus weiter-
mutieren könnte. Aber bislang lasse sich kein
Muster erkennen, dem Sars-CoV-2 folge, so
Burton: »Das Virus kann massive Sprünge
machen, die völlig unvorhersehbar sind; ich
schätze, KI kann derzeit lediglich als eine Art
Kompass dienen, der uns in bestimmte Rich-
tungen führt.«
Impfstoffforscher Gerdts verfolgt ebenfalls
das Ziel, einen breit wirksamen Impfstoff her-
zustellen. Ausgangspunkt ist seine Protein-
bruchstück-Vakzine mit Wirkverstärker, die
derzeit bereits in zwei klinischen Studien an
Menschen erprobt wird. Ursprünglich richte-
te sich dieser Impfstoff gegen den Wildtyp
des Virus; doch Gerdts hat bereits eine Ver-
sion entwickelt, die zusätzlich gegen Omikron
wirken soll. Und im November erhielt seine
Impforganisation VIDO die Zusage über fünf
Millionen US-Dollar von der Impfstoffinitia-
tive CEPI für die Entwicklung eines »varian-
tensicheren« Impfstoffs.
Die Idee dahinter: Mit Computeranalysen
wollen die Forschenden herausfinden, in
welchen Bereichen des Virusgenoms Muta-
tionen besonders häufig auftreten. Am Ende
sollen Varianten für die Produktion des Impf-
stoffs ausgewählt werden, die mit der von
ihnen erzeugten Immunität möglichst viele
potenzielle neue Mutanten abdecken. In
Zukunft könne man dieses Prinzip möglicher-
weise auch auf andere Coronaviren als Sars-
CoV-2 anwenden. So ließe sich vielleicht
sogar ein Impfstoff für künftige Pandemien
entwickeln.
»Bisher ist es ja immer so gewesen: Eine
neue Erkrankung kommt, wir entwickeln
einen Impfstoff für diese eine Erkrankung.
Dann kommt die nächste Erkrankung, wir
machen den nächsten Impfstoff und so wei-
ter«, sagt Gerdts. Das sei ein Wettrennen, bei
dem die Wissenschaftler immer hinterherlie-
fen. Das Ziel sei deshalb, universeller einsetz-
bare Vakzinen zu entwickeln – um im Idealfall
den Impfstoff für die nächste Pandemie schon
im Kühlschrank zu haben, wenn sie ausbricht.
»Stellen Sie sich vor, die WHO hätte be-
reits im Januar 2020 die ersten 20 Millionen
Dosen Coronaimpfstoff nach Wuhan schicken
können«, sagt Gerdts. »Das hätte den Lauf
der Pandemie geändert.«
Veronika Hackenbroch n
Tag
Ein Teil der Mäuse wird intramus-
kulär mit mRNA-Impfstoff geimpft.
Tag
Ein Teil der
geimpften Tiere
bekommt das
Spikeprotein des
Coronavirus als
Booster per
Nasenspray
verabreicht.
Tag
Alle Versuchstiere werden mit
dem Coronavirus infiziert und in
den folgenden Tagen ihre
Vitalparameter und ihre Viruslast
gemessen.
Bis zum . Tag nach
der Infektion sind alle
ungeimpften Tiere
verendet.
Tag Tag Tag
Gewichtsverlust
Veränderung des Gewichts
der Versuchstiere, in Prozent
Viruslast
in der Lunge, plaquebildende Einheiten je ml
SQuelle: Mao et al, Yale University, Vorveröffentlichung
Schutz an der richtigen Stelle
Untersuchung einer intranasalen Booster-
impfung an Mäusen an der Yale University
Nasaler Booster
Ungeimpft Geimpft
Ungeimpft
Geimpft
Nasaler
Booster
Kein unge-
impftes Tier
lebt mehr.
Bei den nasal geboosterten Tieren waren
die Ergebnisse breiter gestreut, die Viruslast
insgesamt war aber deutlich niedriger.
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