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(coco) #1

Kolosse Götter, Ahnen oder Helden darstellen sollten.
Deshalb vermeiden Forscher inzwischen die Bezeichnung
Tempel für die Anlagen auf dem Göbekli Tepe – Tempel
waren per Definition Göttern geweiht. Eingelassen in die
Umfassungsmauer standen weitere Pfeiler im Rund,
übersät mit Tierreliefs: Da drohten beispielsweise Schlan­
gen, Skorpione, Panther und Löwen. Aus den Wänden rag­
ten ebenfalls Tierkörper. Im flackernden Feuerschein
hätten all diese Figuren tanzende Schatten geworfen.
»Etwas so Gigantisches zu errichten, war immer auch
eine Demonstration von Stärke«, versichert Joachim
Bauer, Neurobiologe an der Universitätsklinik Freiburg. Er
soll bei der Deutung der Kultstätte und ihrer Details helfen.
»Überdies schweißt eine solche gemeinsame Anstrengung
Menschen zusammen, inklusive all der Schaulustigen, die
das Spektakel auf jeden Fall angezogen hat. Denn Teil
einer Gemeinschaft zu sein, die so Großartiges leistet, ist
in hohem Maße erstrebenswert.«
Allein die Versorgung der Arbeiter war eine logistische
Herausforderung. Der Transport eines Pfeilers dürfte nach
Schätzungen von Schmidt an die 300 Mann beschäftigt
haben, der Bau einer einzelnen Anlage mit zwölf Pfeilern
und Mauern wäre demnach ohne organisierte Gemein­
schaftsleistung undenkbar. Ein solcher Aufwand muss
einen wichtigen Nutzen gehabt haben: Das Bergheiligtum,
so vermuten die Archäologen, sollte die im weiten Um­
kreis lebenden Gruppen als zentrale Kult­ und Ritualstätte
zusammenhalten.
Die Anlagen vom Göbekli Tepe waren jedoch nicht die
einzigen steinzeitlichen Monumentalgebäude des Frucht­
baren Halbmonds, wenn auch bislang die imposantesten.
Ende der 1950er Jahre hatte die britische Archäologin
Kathleen Kenyon einen neun Meter hohen Turm aus jener
Zeit in Jericho freigelegt. Er gilt bis heute als eines der
ältesten Bauwerke, das von einer Gemeinschaft errichtet
wurde.


»Sondergebäude« – die kleinen Geschwister
des Bergheiligtums
In Nordsyrien am mittleren Euphrat entdeckten syrische
und französische Archäologen weitere Kultbauten, die
etwa zur gleichen Zeit wie die Steinkreise vom Göbekli
Tepe entstanden und diesen erstaunlich ähneln. Danielle
Stordeur, Prähistorikerin am Maison de l’Orient in Lyon,
hat Ende der 1990er Jahre mehrere solcher »Sondergebäu­
de« in Jerf el Ahmar ausgegraben. In Tell ‘Abr 3, wenige
Kilometer den Euphrat aufwärts, fand ihr syrischer Kollege
Thaer Yartah entsprechende Ruinen. Fast zwei Meter tief
lagen große, runde Häuser im Boden. Sie hatten jeweils
nur einen Raum, in dem eine Bank entlang der Innenwand
angebaut war. Typische Abnutzungsspuren bestätigen,
dass darauf immer wieder Menschen saßen. Unter den
Bänken entdeckten die Ausgräber außerdem Steingefäße,
Tierknochen, Perlen und verzierte Steinplättchen.
Besonders aufschlussreich waren etliche Hohlräume
sowie Putzreste. Offenbar waren Holzpfosten von bis zu
30 Zentimeter Durchmesser in die Bänke eingelassen
worden, teilweise ragten sie über deren Vorderkante
hinaus. Manche hatte man mit Lehm verkleidet. Sollte


EUPHRAT ARCHIV HEIDELBERG

Im Schutt
einiger Häuser
von Nevalı Çori
kamen teils
überlebensgroße
Steinskulpturen
zu Tage, von
denen einige
auch Gesichter
zeigen. Ihre
Bedeutung ist
unbekannt.
Der hier abgebil-
dete Kopf ist
etwa 30 Zenti-
meter hoch.

dieser Putz eine steinerne Anmutung schenken, dem
Gebäude einen Hauch von Göbekli Tepe verleihen? Es
scheint, dass die Menschen im 10. Jahrtausend v. Chr. im
Norden Mesopotamiens durch ähnliche Riten und Symbo­
le eng verbunden waren.
Ausgrabungen und Surveys der letzten 20 Jahre zeigen,
dass die ganze Region recht dicht bewohnt war. Denn
Jäger und Sammler fanden dort einen opulent gedeckten
Tisch, weshalb es Vorteile bot, länger vor Ort zu bleiben.
Die ersten Siedlungen lagen an den Ufern des Euphrat und
Tigris und deren Zuflüssen. Dort wimmelte es von Wildtie­
ren und Wasservögeln, die Gewässer waren reich an
Fischen. Diese frühen Dörfer waren klein, wohl selten mehr
als zwei Hektar groß und von jeweils 150 bis 300 Men­
schen bewohnt.
Hunderte von Reibsteinen und Mörsern belegen: Dort
hatten sich Menschen dauerhaft niedergelassen. Denn
solche schweren Steingeräte führte man sicher nicht auf
langen Wanderungen bei sich. Sie sind außerdem ein
wichtiges Indiz für die intensive Nutzung von Wildpflanzen.
Pistazien, Eicheln, Mandeln und Grassamen lieferten
notwendige Kalorien. Archäobotanische Untersuchungen
der letzten Jahre deuten zudem darauf hin, dass am Körtik
Tepe, einem der ältesten Dörfer am Tigris, möglicherweise
sogar bereits Wildgetreide angebaut wurde. Genetische
Analysen von heutigem Einkorn weisen ebenfalls in diese
Gegend als Ursprungsregion unserer Getreide.
Die Nähe zum Wasser war aber nicht nur Segen, son­
dern auch Fluch: Kinder und Erwachsene von Körtik Tepe
litten unter chronischer Mittelohrentzündung, wie Yilmaz
Erdal vom Anthropologischen Institut in Ankara heraus­
fand. Viele Kinder starben, Erwachsene wurden selten älter
als 35 Jahre. Der Tod gehörte zum Alltag. Grabungsleiter
Vecihi Özkaya und sein Team haben mittlerweile mehr als
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