800 Skelette unter den Fußböden der steinzeitlichen Be
hausungen entdeckt – eine ungewöhnlich hohe Zahl.
Manche dieser Verstorbenen waren mit einem ohrenbe
täubenden Akt beigesetzt worden: Kostbare, aufwändig
verzierte Steingefäße, Äxte und Keulenköpfe wurden
absichtlich zerschlagen, um sie auf die Toten zu legen. Ein
solches Ritual vergaß sicher niemand so schnell. Seltsam
ist, dass in kaum einem der Sondergebäude bislang regu
läre Bestattungen zu Tage kamen. In Jerf el Ahmar ent
deckte Danielle Stordeur in einem der größten Gebäude
zwei isolierte Schädel als eine Art Gründungsdepot. Sie
waren in zwei übereinanderliegenden Pfostenlöchern des
Kultbaus versenkt worden.
KÖRTIK TEPE ARCHIV
FOUILLE FRANCO-SYRIENNE DE JERF EL AHMAR, CODIRECTION DANIELLE STORDEUR ET BASSAM JAMMOUS, MISSION EL KOWM-MUREYBET DU MINISTÈRE DES AFFAIRES ÉTRANGÈRES FRANCE
Ein dritter Totenkopf fand sich versteckt in einer Mauer
nische einer weiteren Anlage. Die große Überraschung aber
waren, nur wenige Schritte entfernt, die Knochen einer
jungen Frau. Sie lag – wie mitten in den Raum geworfen
- auf dem Rücken mit ausgestreckten Armen und Beinen.
Kurz darauf war das Gebäude in Flammen aufgegangen.
Hatte man sie geopfert? War ihr Tod der Grund, das Haus
niederzubrennen? Ein weiteres Rätsel: Dem Skelett fehlte
der Kopf, doch alle Halswirbel befanden sich noch im
Verband. Ein klarer Hinweis für Anthropologen, dass der
Schädel erst dann entfernt wurde, als er nicht mehr mit den
Wirbeln verbunden war. Mit anderen Worten: Jemand
wusste lange nach dem Tod der Frau sehr genau, wo er den
Schädel unter dem Brandschutt suchen musste.
Schmidt mutmaßte bereits, das Bergheiligtum auf dem
Göbekli Tepe könnte neben anderen Aspekten auch eine
besondere Bedeutung im Totenkult gehabt haben. Dem
nach bot man dort oben manchen Leichnam großen
Raubvögeln zum Fraß dar. Einen solchen Bestattungs
brauch gab es später im Zoroastrismus, einer der ältesten
monotheistischen Religionen, die vermutlich im 2. Jahr
tausend v. Chr. in Zentralasien entwickelt wurde. Die
meisten Anhänger dieser Glaubensrichtung leben heute im
Iran, in Indien und den USA. Geier und Rabenknochen im
Füllmaterial des Bergheiligtums könnten Schmidts These
untermauern, allerdings gibt es bislang kaum menschliche
Skelettreste, was eher dagegenspricht.
Gefährliche Tiere – in Stein gebannt
Wozu also dienten all diese Sondergebäude, ob Rundhaus
in einem Dorf oder monumentale Anlage auf einem Berg
plateau? Stordeur nennt sie nur »Gemeinschaftsbauten«,
denn Artefakte wie Reibsteine bezeugen zumindest, dass
man dort gemeinsam Nahrung zubereitete und aß. Kleine
re Kammern innerhalb einiger Gebäude könnten auf ge
meinschaftliche Vorratshaltung hinweisen. Diese Minimal
deutung genügt vielen Forschern jedoch nicht. Dass die
groß dimensionierten Konstruktionen vielmehr einen
festen Platz in der Glaubenswelt des akeramischen Neoli
thikums hatten, machen bildliche Darstellungen deutlich.
Wie auf den Pfeilern und einigen Kleinfunden vom Göbekli
Tepe »bannte« man auch am Körtik Tepe Schlangen,
Skorpione und Vögel auf Gegenstände, vom Steingefäß
über Chloritplättchen bis zu Knochenanhängern.
Solche Tiere waren keine Beute der Jäger. Manche
leben in anderen Sphären als der Mensch: Schlangen
gelten als Begleiter in die Unterwelt, Vögel beherrschen
die Lüfte, Wasservögel sogar beide Bereiche. Etliche sind
gefährlich, etwa Eber oder Panther. Auch der Fuchs mag
in den Augen der Jäger Nordmesopotamiens nicht nur
Konkurrent gewesen sein; in manchen Mythen Ostasiens
gilt er als Begleiter einer mächtigen Göttin und als zwie
lichtiger Dämon, den man durch Opfer besänftigen muss.
Aber gerade die gefährlichen oder mystischen Tiere haben
eine besondere Bedeutung im Schamanismus, wie ihn
traditionell lebende Gruppen noch heute praktizieren. Mal
agieren sie als Helfer und Wegbegleiter durch die Welt der
Geister, mal verwandeln sich die Schamanen selbst in
solche Tiere, um beispielsweise nach den Gründen einer
Solche nur wenige Zentimeter großen Steinplättchen trugen
wohl symbolisch verschlüsselte Botschaften. Auf diese Weise
ließ sich Wissen über weite Strecken verbreiten.
Schamanen, Heiler oder Hexer? Darstellungen
von mensch lichen Wesen sind äußerst selten. Das
Gefäß vom Körtik Tepe (oben) ist ein Unikat.