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(coco) #1

Erkrankung zu forschen. So zeigt ein Steingefäß aus Körtik
Tepe möglicherweise das Bild eines als Vogel verkleideten
Menschen. Auch Kranichdarstellungen vom Göbekli Tepe
haben menschliche Beine, und noch Jahrtausende später,
im 7. Jahrtausend v. Chr., findet man solche Darstellungen
in Çatalhöyük (ausgesprochen Tschatalhöyük), einer stein­
zeitlichen Siedlung in der Zentraltürkei.
Zwar vermag heute niemand mehr zu sagen, wie die
monumentale Architektur und die Skulpturen tatsächlich
auf Menschen der Steinzeit gewirkt haben. »In einer an
Bildern wesentlich ärmeren Welt hinterließen sie jedoch
sicher einen starken Eindruck«, ist sich Dietrich sicher.
Diese Darstellungen bildeten eine gemeinsame Symbol­
sprache, die jedermann in der Region zwischen oberem
und mittlerem Euphrat und Tigris verstand und die tief im
Denken jener Menschen verankert war.
Doch ihre Welt befand sich im Umbruch, ihre Traditio­
nen waren bedroht. Denn die Dörfer wuchsen, was zu
sozialen Spannungen führte. Man musste Vorräte anlegen,
und das bedeutete auch, manch einen vom Konsum
auszuschließen. Die steigende Zahl der Gruppenmitglieder
brachte es mit sich, dass nicht mehr mit allen geteilt
werden konnte. Die engen persönlichen Kontakte und
damit das Vertrauen schwanden.
»Mit der Herausbildung der neuen Lebensform, die
durch zunehmende Nahrungsproduktion bestimmt wurde,
verloren Zentralorte der archaischen Jägergesellschaften
wie der Göbekli Tepe ihre Bedeutung«, resümiert Harald
Hauptmann, Ausgrabungsleiter von Nevalı Çori (ausge­
sprochen: Nevale Tschori), einem Dorf, das Zeugnis dieses
Übergangs ablegt. Ende der 1980er Jahre kam dort bei
Grabungen ein 188 Quadratmeter großer Bau zum Vor­
schein, der in den Hang eingetieft war. Wie am Göbekli
Tepe zierten einst Steinpfeiler das Zentrum des Innen­
raums, in Wandnischen waren zudem noch weitere Stüt­
zen eingelassen. Dieses Sondergebäude entstand etwa in
der Mitte des 9. Jahrtausends v. Chr., als schon Ackerbau
betrieben wurde und man Schafe, Ziegen und Schweine
hielt.


Zur religiösen Praxis gehörte es wohl, solche Kultgebäu­
de immer wieder umzugestalten und sie schließlich regel­
recht zu beerdigen: Viele wurden gesäubert und aufgege­
ben, manche abgebrannt, die Anlagen am Göbekli Tepe
wohl zugeschüttet – anders als durch solch einen Verwitte­
rungsschutz ist die außergewöhnlich gute Erhaltung der
Skulpturen nach mehr als 11 000 Jahren kaum zu erklären.
Sollte der riesige Hügel, der das alte Bergheiligtum bedeck­
te, an die großen Zeiten der Jäger und Sammler erinnern?
In einer späteren Phase (8600–etwa 8000 v. Chr.) wur­
den außerhalb des geschützten Bereichs zwar neue Heilig­
tümer errichtet, jedoch gerieten diese deutlich weniger
beeindruckend: Die Pfeiler maßen nur zwei Meter in der
Höhe, die Bilder gefährlicher Tiere hat man wesentlich
weniger aufwändig in den Stein gemeißelt. Auf fast jeder
exponierten Bergkuppe rund um die Harran­Ebene stießen
türkische Archäologen bei Oberflächenbegehungen zudem
auf ähnliche, aber kleinere T­Pfeiler wie jene vom Göbekli
Tepe. Offensichtlich waren die gewaltigen Gemeinschafts­
leistungen nicht mehr nötig. Das Leben im Dorf hatte sich
etabliert, Ackerbau und Viehzucht bestimmten jetzt den
Alltag. Ein Zurück war undenkbar.

QUELLEN
Benz, M., Bauer, J.: On Scorpions, Birds and Snakes ­ Evidence for
Shamanism in Northern Mesopotamia during the Early Holocene.
Journal of Ritual Studies 29, S. 1–24, 2015

Stordeur, D.: Le village de Jerf el Ahmar (Syrie 9500– 8700 av. J. C.).
L’architecture, miroir d’une société néolithique complexe. CNRS
Editions, Paris 2015

Yartah, T.: Typologie de bâtiments communautaires à Tell ‘Abr 3
(PPNA) en Syrie du Nord. Neo­Lithics 2/16, S. 29 – 49, 2016

LITERATURTIPP
Schmidt, K.: Sie bauten die ersten Tempel. C.H.Beck, München
2006
Klaus Schmidt schildert die Entdeckung der ältesten Kultbauten
der Menschheit und versucht, die Geschichte ihrer Schöpfer zu
rekon struieren.

FOUILLE FRANCO-SYRIENNE DE JERF EL AHMAR, CODIRECTION DANIELLE STORDEUR ET BASSAM JAMMOUS, MISSION EL KOWM-MUREYBET DU MINISTÈRE DES AFFAIRES ÉTRANGÈRES FRANCE

In diesem Sondergebäude von Jerf el Ahmar entdeckten die Ausgräber Schädel und ein Frauenskelett.
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