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(coco) #1

Nord indien die Gupta-Dynastie herrschte. Die älteste
Ausgrabungsschicht bestätigt dies. Mitunter weicht der
archäologische Befund von den Beschreibungen des 7.
und 8. Jahrhunderts jedoch ab. So impliziert Xuanzangs
Text, dass die Klostergebäude einen Ring formten, doch
ihre Über reste – ausgenommen die südlichsten – reihen
sich entlang einer Nord-Süd-Achse auf.
Auch die Zahl der bislang entdeckten Anlagen ist gerin-
ger als in den chinesischen Quellen erwähnt, wo von
sieben, acht beziehungsweise neun »Klöstern« die Rede
ist. Dass sie zwei- oder gar mehrstöckig gewesen sind,
bestätigen Treppenanlagen und Löcher im Mauerwerk, die
einst Deckenbalken aufnahmen. Sie dürften aus späteren
Bauphasen stammen; eine genaue Datierung ist aber
problematisch, da zu verschiedenen Zeiten entstandene
Strukturen in- und aufeinanderliegen.


Nalanda war das Alexandria Indiens:
Ein Ort umfassender Gelehrsamkeit
Die Texte verraten zudem, dass umfangreiches Wissen
vermittelt wurde. Philosophie und mönchisches Leben
standen ebenso auf dem Lehrplan wie beispielsweise
brahmanisches Schrifttum, Linguistik, Logik und Medizin.
Im 7. Jahrhundert war der Ort ein Zentrum des buddhisti-
schen Idealismus, dem zufolge alle wahrgenommenen
Dinge Kreationen des Geistes sind. Viele namhafte Gelehr-
te wirkten in Nalanda, darunter der indische Logiker
Dignaga (etwa 480–540) und Shantideva, ein südindischer
Königssohn, der laut Überlieferung im 8. Jahrhundert
Mönch wurde und bedeutende Schriften verfasst hat.
Kunsthistoriker haben Bronzestatuen von Buddhas,
Bodhisattvas und buddhistischen Schutzgottheiten sowie
weitere Stein- und Bronzefiguren – auch aus der näheren
Umgebung – untersucht. Sie kommen zu dem Schluss,
dass das Kloster spätestens ab der Zeit des Yijing eben-
falls ein Zentrum des tantrischen Buddhismus gewesen


sein muss. Diese esoterische Schule lehrt neben der klassi-
schen Meditation komplexe Rituale, um Erleuchtung zu
erlangen, und integriert dabei einen ganzen Pantheon an
Buddhas, Bodhisattvas (Sanskrit für »Wesen, denen die
Erleuchtung bestimmt ist«) und anderen übermenschli-
chen Wesenheiten.
Noch der tibetische Geschichtsschreiber Butön Rinchen
Drub (1290–1364) sprach in seiner »Geschichte des Dhar-
ma« Nalanda eine überregionale Bedeutung zu. Diese
Jahrhunderte andauernde Wirkmacht wie auch das über
die buddhistische Lehre hinausreichende Kurrikulum
rechtfertigen die Bezeichnung Universität im gleichen
Sinne, wie diese den großen islamischen Madrasas und
den Hochschulen des mittelalterlichen Europas zuge-
schrieben wird. Allerdings war Nalanda dann die älteste
solche Anstalt: Al-Zaytunah in Tunesien entstand erst 737,
die Universität Bologna gar erst 1088.
Die vom Archaeological Survey of India verwaltete und
betreute Stätte mit ihren rekonstruierten und konservierten
Klosterhöfen und Stupas lässt die einstige Bedeutung
noch erahnen. Stein- und Bronzestatuen, Münzen, Terra-
kottasiegel und Inschriften in verschiedenen Museen
illustrieren, wie reich und komplex das religiöse Leben
gewesen sein muss und wie eng verzahnt das Kloster mit
seinem politisch-sozialen Umfeld einst war.
Als der Buddhismus im 11. bis 13. Jahrhundert aus
Nordindien verschwand, entging auch Nalanda seinem
Schicksal nicht. Quellen zufolge habe es der muslimische
Eroberer Bakhtiyar Khilji 1193 zerstört. Zwar weist tatsäch-
lich ein Bereich im südlichsten Klostergebäude Brandspu-
ren in den archäologischen Schichten jener Zeit auf. Der
relativ gute Zustand der sonstigen Ruinen legt aber eher
einen langsamen Verfall nahe.
Nalanda blieb der buddhistischen Welt jenseits Indiens
ein Begriff, wie verschiedene Quellen zeigen. Mit der Wie-
derentdeckung der imposanten Überreste im 19. Jahrhun-
dert wurde es weltweit bekannt. Erneut entfaltete es
Symbolkraft. Selbst im säkularen und eher von Hinduismus
und Islam geprägten modernen Indien entstand 1951 nahe
der Stätte das Nava Nalanda Mahavihara, das »Neue Groß-
kloster Nalanda«, eine akademische Ausbildungsstätte für
buddhistische Mönche. 2010 folgte die Nalanda University in
Rajgir. Die ebenfalls monumental zu nennende Architektur
des geplanten Campus mit Ziegeln, geraden Linien, stupa-
ähnlichen Formen und künstlichen Wasserspeichern ist
deutlich vom historischen Vorbild geprägt. Seit 2016 gehört
die Klosterruine zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es steht zu
hoffen, dass diese Ehrung dazu beiträgt, die erste Universität
der Menschheitsgeschichte im Gedächtnis zu behalten.

ARCHAEOLOGICAL SURVEY OF INDIA / MINISTRY OF CULTURE, GOVERNMENT OF INDIA

QUELLEN

Asher, F. M.: Nalanda: Situating the Great Monastery. The Marg
Foundation, Mumbai 2015

Misra, B. N.: Nalanda (3 Bände). B. R. Publishing Corporation, Delhi
1998

Stewart, M. L.: Nalanda Mahāvihāra: A Critical Analysis of the
Archaeology of an Indian Buddhist Site. Manohar, Neu-Delhi 2017
(in Vorbereitung)

Nalanda bestand im Kern aus einer Reihe von Klosterhöfen
sowie verschiedenen Heiligtümern. Nur ein Zehntel der Anlage
wurde bislang ausgegraben.

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