SdW0517

(coco) #1

Täglich aktuelle Nachrichten auf Spektrum.de


verstorbenen Manns von Ust-Ischim ähneln, von dem
2008 in Westsibirien ein fossiler Oberschenkelknochen
gefunden wurde. Dies ist bislang der älteste moderne
Mensch, dessen DNA man vollständig sequenziert hat.


Hypothetischer Hybridmensch SUNDer
Genauer gesagt fanden die Forscher einen äußerst markan-
ten, für Tibeter typischen DNA-Abschnitt, der auf eine enge
Abstammungsverwandtschaft – eine nahe Homologie –
sowohl mit dem Ust-Ischim-Mann als auch mit den erwähn-
ten älteren Menschenarten hinweist. Besagter Abschnitt
unterscheidet sich bei den Tibetern deutlich von anderen
heutigen menschlichen Populationen. Er enthält acht Gene,
von denen mindestens eines zur Anpassung an große
Höhe entscheidend beiträgt. Die Population, die in Tibet
während der letzten Kaltzeit existierte, könnte laut Xu aus
Hybriden all der oben erwähnten ausgestorbenen Arten
und frühen modernen Linien hervorgegangen sein. Diese
hypothetische hybride Menschenform tauften die Forscher
SUNDer, nach den Anfangsbuchstaben für Sibirier, Unknown
(englisch für unbekannt), Neandertaler und Denisovaner.
Verblüfft hat das Team um Xu, dass seine Daten von
der ersten Besiedlung des Hochplateaus an bis heute eine
deutliche genetische Kontinuität aufweisen, also eine
fortlaufende Weitergabe von Erbgutsequenzen. Das be-
deutet: Tibet war über all die Jahrzehntausende und sogar
während der härtesten eiszeitlichen Phasen durchgehend
von Menschen bewohnt. Bisher gingen Anthropologen


davon aus, dass sie die strengsten Zeiten dort nicht über-
stehen konnten. Aldenderfer und einige seiner Kollegen
malen sich dagegen Szenarien aus, in denen das doch
möglich gewesen wäre. Zum Beispiel seien die großen
Flusstäler auf dem Plateau wohl weniger unwirtlich gewe-
sen als viele andere Gebiete, und mancherorts gab es
vermutlich immer warme Quellen.
Im Sommer 2016 stellten chinesische Archäologen in
Peking auf dem 33. Internationalen Geografischen Kon-
gress neue Daten zur frühen Besiedlung der südöstlichen
tibetischen Hochebene vor, welche die genetischen Ergeb-
nisse untermauern. Ihnen zufolge reichen die bisher ältes-
ten Besiedlungsspuren Tibets zwischen 39 000 und 31 000
Jahre zurück. Die Fundstätte am Ufer des Flusses Saluen,
der in Osttibet in 5500 Meter Höhe entspringt und nach
3000 Kilometern in den Indischen Ozean mündet, birgt
viele Steinwerkzeuge und Tierknochen. Aldenderfer weiß,
dass dies nur erste Puzzleteile sind. Wesentlich mehr
Ausgrabungen sind nötig, um zu verstehen, wie und wo
Menschen auf dem tibetischen Hochplateau die letzte
Kaltzeit meisterten.

Jane Qiu ist Biologin und Wissenschaftsjournalistin in London.

QUELLE
Lu, D. et al.: Ancestral Origins and Genetic History of Tibetan
Highlanders. In: The American Journal of Human Genetics 99,
S. 580–594, 2016

Die heutigen Bewohner Tibets sind auch Nachfahren von Menschen, die schon mitten in der letzten Kaltzeit dort lebten.
Damals kam bei diesen Ahnen Erbgut von Neandertalern, Denisovanern und frühen modernen Sibiriern zusammen.


GETTY IMAGES / SINO IMAGES
Free download pdf