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(coco) #1
E

s kommt nicht alle Tage vor, dass ein seriöses
Unternehmen eine Technik auf den Markt wirft,
die es noch gar nicht gibt. Nur närrische Millionä­
re buchen schon jetzt ihre künftige Weltraumreise
oder ein Tiefkühlfach, um per Kryotechnik in ferner
Zukunft zu erwachen. Doch nun kündigt ein in der
Informationstechnik (IT) führender Konzern noch für
dieses Jahr einen praktikablen Quantencomputer an,
auf dem ab sofort jedermann gegen Gebühr Rechen­
zeit reservieren kann (Nature 543, S. 159, 2017).
Da immerhin IBM dieses Versprechen macht, dürfte
es sich kaum um einen bloßen Werbegag handeln –
aber ein bisschen gesunde Skepsis ist wohl ange­
bracht. Bisher bestehen Quantencomputer aus ein paar
Atomen in einer Vakuumkammer oder aus winzigen
supraleitenden Schaltkreisen bei wenigen Grad über
dem absoluten Nullpunkt. Die Prototypen kommen der­

zeit über Rechenkunststücke der Art »zwei mal zwei ist
vier« kaum hinaus.
Wann solche extrem empfindlichen und fehleranfäl­
ligen Geräte gängigen Rechnern das Wasser reichen,
geschweige ihnen überlegen sein werden, ist noch völlig
offen. Was derzeit wirklich Fortschritte macht, sind die
speziellen Algorithmen für künftige Quantencomputer.
Der Verdacht liegt nahe, dass IBM mit der Ankündigung
den Zweck verfolgt, weltweit Experten für die Weiter­
entwicklung des mathematischen Formalismus einzu­
spannen – während die Firma zugleich aus der Art des
verwendeten Geräts ein großes Geheimnis macht.
Gleichzeitig präsentiert der Internetgigant Google
seinen Fahrplan zur kommerziellen Quantenmaschine –
wobei die Entwickler um Chefwissenschaftler Masoud
Mohseni vom Google Quantum Artificial Intelligence

Laboratory in Venice (Kalifornien) immerhin zugeben,
dass es bis dahin mindestens zehn Jahre dauern wird
(Nature 543, S. 171–174, 2017).
Wie IBM verlangt Google quasi Eintrittsgeld für die
Teilnahme an der Entwicklungsarbeit, indem man
zahlenden Kunden verspricht, sie könnten demnächst
Vorformen echter Quantencomputer ausprobieren. Der
Trick erinnert ein wenig an Mark Twains Tom Sawyer,
der verdonnert wird, einen langen Zaun anzustreichen:
Er zelebriert seine Pinselführung so spektakulär, dass
vorbeikommende Jungen ihm sogar Tauschwaren
anbieten, um an seiner Stelle arbeiten zu dürfen.
Ähnlich spekulieren Googles Forscher öffentlich über
Mischformen von klassischen und Quantencomputern
und malen fantasievoll aus, was solche Hybriden
vielleicht schon in wenigen Jahres leisten könnten.
Geschickt ziehen sie Vergleiche mit der Geschichte der
künstlichen Intelligenz, die erst jahrzehntelang stagnier­
te und jetzt einen Durchbruch nach dem anderen erzielt,
jüngst sogar den Sieg über Profis im Pokerspiel. Nicht
auszudenken, so die Forscher, wie die KI erst vorankä­
me, wenn ihr Quantencomputer zur Verfügung stünden!

W

er bekommt da nicht Lust, an solch spannen­
den Innovationen mitzuwirken – und zahlt
dafür Google gern einen Mitmach­Obolus?
Das Geld sei auch unter kaufmännischen
Gesichtspunkten hervorragend angelegt, betonen Moh­
seni und sein Team. Denn wer den ersten halbwegs
funktionierenden Quantencomputer ersteht, hat damit
gegenüber der IT­Konkurrenz einen Wettbewerbsvor­
sprung, den das Google­Team schlicht als »expo­
nentiell« bezeichnet. Universitäten, Privatfirmen und
Re gierungsstellen werden animiert, an dem Abenteuer
teilzunehmen.
Ein schönes Modell haben sich IBM und Google da
ausgedacht: Wer mag und dafür zahlt, darf gerne mit­
machen, aber das Ergebnis – das Patent auf einen echten
Quantencomputer – gehört dann natürlich dem Konzern.

SPRINGERS EINWÜRFE


ZUKUNFTSTECHNIK SUCHT


SPENDABLE KUNDEN


Wann Quantencomputer heutigen Rechnern über­
legen sein werden, steht in den Sternen. Große
IT­Anbieter verkaufen aber bereits Nutzungsrechte.

Michael Springer ist Schriftsteller und Wissenschaftsredakteur. Seit seiner
Promotion in theoretischer Physik pendelt er zwischen den »zwei Kulturen«.

 spektrum.de/artikel/1443917

Wer bekommt da nicht Lust, an


den Innovationen mitzuwirken?

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