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(coco) #1

kleinmolekulare Wirkstoffe zu entwickeln, die diese Grenze
besser überwinden. Ein tiefer gehendes Verständnis da-
von, wie LSK entstehen, hat zu Fortschritten auf diesem
Gebiet beigetragen. »Wir wissen jetzt genauer, was in den
betroffenen Zellen schiefläuft, und finden allmählich
heraus, wie wir es beheben können«, sagt Beverly David-
son, wissenschaftliche Leiterin am Children‘s Hospital of
Philadelphia in Pennsylvania.


Punktgenaue Stoffwechselhemmung
Statt defekte oder fehlende Enzyme zu ersetzen, zielen
kleinmolekulare Wirkstoffe darauf ab, den Zellmetabolis-
mus trotz funktionaler Beeinträchtigung zu stabilisieren.
Ein Ansatz hierfür ist die so genannte Substratreduktion:
Man drosselt gezielt die Produktion jener Moleküle, die bei
der jeweils vorliegenden LSK nicht weiterverarbeitet
werden können, und verhindert auf diese Weise, dass sie
sich gefährlich anreichern. Die Substratreduktion ist in
anderen Bereichen der Medizin bereits gut etabliert – Sta-
tine beispielsweise senken den Cholesterinspiegel im Blut,
indem sie ein Enzym hemmen, das an der Cholesterin-
synthese mitwirkt. Substratreduktionstherapien unterbin-
den die Herstellung der jeweiligen Substanz nicht völlig,
und das wäre auch nicht wünschenswert. Denn viele
Moleküle, die sich bei LSK anreichern, sind für den Orga-
nismus lebenswichtig, selbst wenn sie in zu hoher Konzen-
tration giftig werden.
Damit eine solche Behandlung funktioniert, muss der
Organismus noch in der Lage sein, die verbleibende Rest-
menge des Substrats abzubauen. Was häufig zutrifft. »Bei
den meisten lysosomalen Speicherkrankheiten ist eine
rudimentäre enzymatische Aktivität vorhanden«, erläutert
John Marshall, wissenschaftlicher Leiter beim Biotechno-
logieunternehmen Sanofi Genzyme in Cambridge, Mas-
sachusetts. Außerdem, fügt er hinzu, gebe es oft nicht nur
einen einzigen biochemischen Mechanismus, um die
fragliche Substanz abzubauen oder aus der Zelle zu beför-


dern, so dass die Zelle den Ausfall eines Enzyms in gewis-
sen Grenzen kompensieren könne.
Derzeit sind zwei Substratreduktionstherapien auf dem
Markt. Der Arzneistoff Miglustat, ein Iminozucker, ist zur
Behandlung der Gaucher-Krankheit zugelassen – doch nur
bei Patienten, für die eine Enzymersatztherapie nicht in
Frage kommt, weil sie allergische Reaktionen zeigen oder
eine intravenöse Arzneistoffgabe bei ihnen nicht möglich
ist. In manchen Ländern der Europäischen Union, aber
nicht in den USA, darf Miglustat auch zur Therapie der
Niemann-Pick-Krankheit Typ C verwendet werden. Der
Iminozucker wirkt gegen die Gaucher-Krankheit weniger
gut als die Enzymersatztherapie und hat starke Nebenwir-
kungen, darunter Zittern und Magen-Darm-Beschwerden.
Er bietet allerdings den Vorteil, als Tablette eingenommen
werden zu können.
Die zweite Substratreduktionstherapie stützt sich auf
den Wirkstoff Eliglustat, der ebenfalls zur Behandlung der
Gaucher-Krankheit zugelassen ist. Er hat weniger Neben-
effekte als Miglustat und wirkt beinahe so gut wie die
Enzymersatztherapie. »[Eliglustat] übertraf alle Erwar-
tungen«, meint Facharzt Tim Cox, der in den 1990er Jah-
ren mehrere klinische Studien mit Miglustat leitete, jedoch
nicht an der Entwicklung von Eliglustat beteiligt war. Der
Wirkstoff bietet möglicherweise noch weitere Vorteile.
Tierversuche deuten darauf hin, dass er B-Zell-Lym-
phomen und Myelomen vorbeugen könnte, verbreiteten
Krebserkrankungen des Blut bildenden Systems, die
häufig infolge des Gaucher-Syndroms auftreten.
Miglustat und Eliglustat lassen sich oral verabreichen,
was die Behandlung für den Patienten angenehmer macht.
Sie sind aber teuer: Eine Eliglustat-Therapie der Gaucher-
Krankheit kostet jährlich ähnlich viel wie eine Enzym-
ersatztherapie, nämlich einen sechsstelligen Betrag. Und
obwohl die kleinmolekularen Wirkstoffe die Blut-Hirn-
Schranke im Prinzip überwinden können, tun sie das in der
Praxis nicht sehr verlässlich.
Andere Wirkstoffe für die Substratreduktionstherapie,
die sich noch in Entwicklung befinden, dürften hier deut-
liche Verbesserungen bringen. John Marshall und seine
Kollegen arbeiten bei Sanofi Genzyme an einem Molekül
mit der vorläufigen Bezeichnung Genz-682452, das bei
Tierversuchen nachweislich ins Gehirn gelangt. Die Sub-
stanz hemmt den ersten Schritt in der Synthese von so
genannten Glycosphingolipiden und könnte deshalb
helfen, verschiedene LSK aus der Gruppe der Sphingolipi-
dosen zu behandeln. Davon profitieren könnten Patienten,
die am Fabry-, am Gaucher- und am Tay-Sachs-Syndrom
leiden. Sanofi Genzyme testet den Wirkstoff in einer
klinischen Phase-II-Studie mit Fabry-Patienten und ver-
sucht ihn so weiterzuentwickeln, dass er sich auch zur
Therapie der Gaucher-Krankheit eignet.

Auf die richtige Form kommt es an
Eine dritte Strategie, um LSK zu behandeln, besteht darin,
beschädigte Enzyme zu »retten«. Bei vielen Patienten –
ihr Anteil variiert zwischen den verschiedenen LSK-Varian-
ten – betreffen die Mutationen in den jeweiligen Genen
nicht das aktive Zentrum lysosomaler Enzyme, sondern

Ellen Sidransky (links) sucht nach Chaperon-Proteinen, die sich
zur Behandlung lysosomaler Speicherkrankheiten eignen.


MIT FRDL. GEN. VON NHGRI / ERNESTO DEL AGUILA
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