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(coco) #1

Glucocerebrosidase dazu, das Innere von Lysosomen zu
erreichen und dort angereicherte Glucocerebroside abzu-
bauen. Das Entscheidende dabei ist, dass der Wirkstoff
die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden scheint. »Derzeit ist
keinerlei Therapie verfügbar für jene Varianten der Gau-
cher-Krankheit, die das Gehirn beeinträchtigen«, erläutert
die Neurogenetikerin. Mit dem neuen Wirkstoff könnte
sich dies vielleicht ändern. Die Ergebnisse der Experi-
mente legen sogar nahe, dass NCGC607 zur Behandlung
einer viel häufigeren neurologischen Störung beitragen
könnte – der Parkinsonkrankheit.
Chaperontherapien haben allerdings den Nachtteil,
dass man die meisten von ihnen nur bei einigen wenigen
oder sogar nur bei einer einzigen LSK anwenden kann –
ja vielleicht sogar nur bei ganz bestimmten Mutations-
mustern eines LSK-Typs. Jede lysosomale Speicherkrank-
heit kann vermutlich von dutzenden oder hunderten ver-
schiedenen Mutationsmustern hervorgerufen werden, die
sich phänotypisch alle gleich äußern. Es ist nicht praktika-
bel, für jedes davon geeignete Chaperone zu entwickeln.


Heilsame Stressreaktion
Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, forscht
Thomas Kirkegaard über Wirkstoffe, welche die Aktivität
der natürlichen Chaperone des Organismus hochfahren,
der Hitzeschockproteine nämlich. Therapieansätze, die
darauf basieren, könnten theoretisch gegen dutzende
Krankheiten helfen, einschließlich vieler LSK. »Behand-
lungskonzepte, die auf Hitzeschockproteinen gründen,
sind breit einsetzbar – insbesondere gegen Störungen, die
aus falsch gefalteten Proteinen resultieren«, sagt Kirkeg-
aard. In klinischen Studien erwies sich kürzlich der Wirk-
stoff Arimoclomol, der ein Hitzeschockprotein namens
HSP70 aktiviert, als viel versprechende Arznei gegen eine
entzündliche Muskelkrankheit (Myositis), die freilich
nichts mit den Lysosomen zu tun hat. Mediziner testen
zudem, wie gut Arimoclomol gegen die amyotrophe
Lateral sklerose (ALS) wirkt, eine degenerative Erkrankung
des motorischen Nervensystems.
Andere Fachleute zeigen sich skeptisch gegenüber
solchen weit gefassten Ansätzen. Schon früher habe man
versucht, über das System der Hitzeschockproteine die
Huntingtonkrankheit zu behandeln, erzählt Beverly David-
son vom Children’s Hospital of Philadelphia. Bei dieser
erblichen Hirnerkrankung sammelt sich ein fehlerhaftes
Protein in Neuronen, die infolgedessen zu Grunde gehen.
Der Versuch, dem mit Hitzeschockproteinen entgegenzu-
wirken, habe sich in Zellkulturen als verheißungsvoll
erwiesen, so Davidson, die klinischen Studien seien jedoch
alles andere als überwältigend verlaufen. »Es ist für mich
schwer erkennbar, wie das gegen ein breites Spektrum
lysosomaler Speicherkrankheiten helfen soll.«
Kirkegaard dagegen ist überzeugt, dass sich Arimoclo-
mol zum Behandeln von Sphingolipidosen eignen könnte
(siehe »Schocktaktik«, links). Der Grund: Das von dem
Arzneistoff aktivierte Hitzeschockprotein HSP70 bindet in
den Lysosomen an ein Lipidmolekül, das seinerseits die
enzymatische Zerlegung von Sphingolipiden intensiviert.
Bei gesteigerter HSP70-Aktivität sollten Sphingolipide


deshalb vermehrt abgebaut werden. Kürzlich hat Orpha-
zyme eine klinische Phase-III-Studie mit Kindern gestartet,
die an Niemann-Pick Typ C erkrankt sind. Etwa 95 Prozent
von ihnen prägen auf Grund genetischer Mutationen
fehlgefaltete Enzyme aus, die einer Chaperontherapie
gegenüber zugänglich sind. Die Studie soll in Europa und
den USA mindestens 46 Patienten einschließen und ist auf
eine Dauer von ein bis zwei Jahren angelegt. Fallen die
Ergebnisse positiv aus, wird das Unternehmen die Be-
handlungsmethode auch bei anderen Sphingolipidosen
erproben.
Therapien, die sich gegen viele LSK einsetzen lassen,
sind gewissermaßen der heilige Gral der Mediziner. Eine
Arbeitsgruppe um den Genetiker Andrea Ballabio vom
Telethon-Institut für Genetik und Medizin in Neapel geht
beispielsweise der Frage nach, ob man durch Manipula-
tion des Masterproteins TFEB die Aktivität der Lysosomen
allgemein verstärken und so die Ansammlung gleich
mehrerer Molekülsorten verhindern kann.
Andere Forscher wollen die Produktion fehlerhafter
Enzyme verhindern, die Marshall zufolge 10 bis 15 Prozent
aller LSK verursachen. Der Proteinsyntheseapparat der
Zelle lässt sich mit verschiedenen Techniken dazu bringen,
vorzeitige Stoppsignale in Genen zu ignorieren, die ver-
stümmelte Moleküle entstehen lassen. Der experimentelle
Wirkstoff Ataluren zielt darauf ab. Er dient zur Behandlung
der Duchenne-Muskeldystrophie, die infolge einer solchen
Nonsens-Mutation im Dystrophin-Gen entstehen kann,
und wird derzeit klinisch getestet als Arzneistoff gegen
das Hurler-Syndrom.
»Der Vorteil dieser vielgleisigen Forschung ist, dass die
verschiedenen Therapieansätze sich gegenseitig ergän-
zen«, betont Kirkegaard. Demnach liegt die Zukunft der
LSK-Behandlung vielleicht nicht in einer bestimmten
Wirkstoffklasse, sondern in der Kombination mehrerer.
Freilich müssen hierfür erst die hohen Kosten der Arznei-
stoffe sinken. Wenn aber die Enzymersatztherapie, die
Substratreduktionstherapie, die Chaperontherapie und
andere Ansätze jeweils für sich zu einer geringfügigen
Besserung führen, dann könnten sie gemeinsam vielleicht
sehr gute klinische Erfolge bewirken.

QUELLEN
Adnan, H. et al.: Endoplasmic Reticulum-Targeted Subunit Toxins
Provide a New Approach to Rescue Misfolded Mutant Proteins and
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© Nature Publishing Group
http://www.nature.com
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