SdW0517

(coco) #1

Im Gegensatz zu klassischen, binären Bits befinden sich
Qubits in einer Überlagerung mehrerer Zustände. Zudem
können sie miteinander verschränkt sein. Das bedeutet,
ein Qubit ist mit einem zweiten verbunden, unabhängig
davon, wie weit die beiden voneinander entfernt sind. Ob
und nach welchen konkreten mathematischen Regeln sich
aus der Verschränkung von Qubits eine Struktur der
Raumzeit ergibt, ist Gegenstand aktueller Forschung.
»Dieser holografische Ansatz ist gegenwärtig der beste
Weg, um sich einem Verständnis der Quantengravitation
anzunähern«, bekräftigt Mark Van Raamsdonk, Physiker
an der University of British Columbia im kanadischen
Vancouver, der einflussreiche Arbeiten auf diesem Gebiet
verfasst hat.
Auch mathematisch lassen sich solche holografischen
Universen inzwischen immer besser beschreiben, aller-
dings nur in seltsamen und künstlichen Geometrien, den
»Anti-de-Sitter-Räumen« (AdS). Wir leben hingegen in
einem so genannten De-Sitter-Raum mit einer anderen
Struktur. Und die erweist sich nach wie vor als harte Nuss.
Womöglich rufen gerade die speziellen Eigenschaften der
De-Sitter-Geometrie die Illusion der Dunklen Materie
hervor. Das zumindest ist eine Spekulation in Verlindes
jüngster Arbeit.
De-Sitter-Raumzeiten wie unser Universum dehnen sich
beschleunigt aus. Damit das passieren kann, muss man
der Raumzeit einen kleinen Schuss Hintergrundenergie
zuführen. Verlinde modelliert diese Dunkle Energie quasi
als thermischen Effekt, als brächte Hitze unser Universum
in einen Zustand der Expansion. Für ihn hängt diese ther-
mische Energie mit einer Verschränkung zwischen Qubits
über große Distanzen zusammen. Die Erwärmung würde
Paare von ihnen gewissermaßen auseinandertreiben. Die
Anwesenheit von Materie, so argumentiert Verlinde weiter,
zerstört die Verschränkung. Dadurch verschwindet Dunkle


Energie in diesen Regionen der Raumzeit. Sie versucht
jedoch, wieder einzudringen und übt so eine Art elastische
Rückwirkung aus. Diese würde uns wie eine gravitative
Anziehung erscheinen. Durch die Reichweite der Ver-
schränkung spielt der Mechanismus eine umso wichtigere
Rolle, je größer das betroffene Volumen der Raumzeit ist.
Verlindes Berechnungen zufolge lässt der Effekt die Rotati-
onskurven von Galaxien gerade an dem Punkt von der
Vorhersage Newtons und Einsteins abweichen, der dem
Wert aus Milgroms MOND-Theorie entspricht.
Verlindes Idee sei »fraglos richtungsweisend«, so Van
Raamsdonk. Seiner Ansicht nach ist es noch zu früh, um
zu entscheiden, ob alles in Verlindes Arbeit – die sich bei
Konzepten aus Quanteninformationstheorie, Thermodyna-


mik, kondensierter Materie, Holografie und Astro physik
bedient – wirklich so zusammenpasst. Dennoch: »Ich
finde die Überlegungen interessant, und allein der Ver-
such, ihre Stimmigkeit zu überprüfen, dürfte uns weiter-
bringen.«

Kann die neue Theorie Beobachtungen erklären,
die den Ausschlag für Dunkle Materie gaben?
Brian Swingle, der in den USA an der Harvard University
und der Brandeis University über Holografie forscht,
kritisiert, Verlinde fehle ein konkretes Modelluniversum
ähnlich jenem, das andere Forscher im AdS-Raum kon-
struieren. Das gebe ihm zu viel Spielraum für Spekulatio-
nen. »Aber um fair zu sein, machen wir unsere Fortschritte
in einem stärker begrenzten Bereich, der für das reale All
erst einmal weniger relevant ist«, gesteht er mit Blick auf
den AdS-Raum. »Wir müssen uns mit Universen befassen,
die mehr wie unseres aussehen. Deshalb erhoffe ich mir
von Verlindes Arbeit zusätzliche Hinweise, in welche
Richtung wir gehen sollten.«
Vielleicht trifft Verlinde mit seiner neuen Arbeit den
Zeitgeist wie schon 2010 mit der entropischen Gravitation.
Vielleicht liegt er falsch. Alles steht und fällt mit der Frage,
ob seine verbesserte MOND-Theorie für Phänomene gilt,
an denen die alte gescheitert ist. Denn mehrere Beobach-
tungen gaben für die meisten Experten den Ausschlag für
das Konzept der Dunklen Materie.
Ein Beispiel dafür liefert der »Bullet-Cluster« (Geschoss-
haufen, siehe Bild rechts), in dem zwei Galaxienhaufen
frontal kollidieren. Das sichtbare Gas prallt aufeinander
und wird dabei gebremst. Untersucht man, wie die
Schwerkraft des Bullet-Clusters das Licht von Galaxien im
Hintergrund ablenkt, zeichnet dieser Gravitationslinsen-
effekt ein anderes Bild: Ein großer Teil der Masse wandert
demnach ungestört durch den Ort des Zusammenstoßes
hindurch. Das Verhalten entspricht dem, was viele Physi-
ker von Dunkler Materie erwarten, die außer durch die
schwache Gravitationskraft nicht mit sichtbarer Materie
wechselwirkt. Für viele Astronomen war diese Beobach-
tung aus dem Jahr 2006 ein entscheidendes Indiz für die
Existenz Dunkler Materie.
Verlinde ist überzeugt davon, dass seine Theorie die
Beobachtungen im Bullet-Cluster und ähnliche Befunde in
anderen kollidierenden Galaxien erklären kann. Die Raum-
zeit ließe sich unter dem gravitativen Einfluss der Dunklen
Energie nicht so leicht deformieren wie bei klassischer
Materie. Darum würde sich das sichtbare Gas im Verlauf
des Zusammenstoßes von der unsichtbaren Struktur der
Raumzeit trennen.
Ein besonderer Erfolg für Verlindes Theorie wäre, wenn
sie gewisse Spuren in der kosmischen Hintergrundstrah-
lung begründen könnte. Bei dieser handelt es sich um ein
Foto des Universums kurz nach dem Urknall: Strahlung,
die damals frei wurde, erreicht uns heute noch aus allen
Richtungen des Weltalls. Aus ihren kleinen Fluktuationen
lesen Kosmologen, wie Materie in der kosmischen Frühzeit
wiederholt aufeinander zustürzte, zusammenprallte und
daraufhin expandierte. Dunkle Materie hätte sich hingegen
ausschließlich verdichtet, da hier die abstoßenden Wech-

Alles steht und fällt mit der Frage,


ob die neue Theorie für


Phänomene gilt, an denen die alte


Theorie gescheitert war

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