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(coco) #1

82 Spektrum der Wissenschaft 5.17


direkten Ursachen mit zunehmender Ungleichheit zusam-
menhängen. In den USA verschlingt das Gesundheitswe-
sen Unsummen – fast ein Fünftel des Bruttoinlandpro-
dukts, verglichen mit rund 11 Prozent in Deutschland – und
ist dennoch wenig effektiv, wie die Entwicklung der Le-
benserwartung zeigt. Das dafür erforderliche Geld bringen
die Bürger letztlich mit ihren Löhnen und Einkommen auf.
Dieses sündteure System wird heftig von denjenigen
verteidigt, die Einkommen und Macht direkt oder indirekt
aus den Gesundheitsausgaben beziehen.
Auch der Finanzsektor trägt an sich zu unserem Wohl-
ergehen bei, aber er hat sich ungeheuer aufgebläht. Die
enormen privaten Vergütungen, die er hervorbringt, über-
steigen seinen sozialen Nutzen. Viele unserer besten Köpfe
arbeiten in diesem Sektor, statt reale Dinge zu produzieren
oder neue Heilverfahren zu entwickeln. Vor allem ist ein
allzu großer Finanzsektor instabil und verursacht verhee-
rende Wirtschaftskrisen.

Technischer Wandel bringt Vorteile –
aber nicht für alle
Die schiere Größe des Gesundheits- und des Finanzsektors
erschwert deren politische Kontrolle. Beide treiben die
Ungleichheit voran, indem sie einer kleinen Minderheit
riesige Einkommen verschaffen, während sie reales
Wachstum und Innovationsbereitschaft lähmen. Demzu-
folge lässt sich erneute Prosperität nur dann erreichen,
wenn wir gegen die schiefe Einkommensverteilung vorge-
hen und Verhaltensweisen vom Typ des Rent-Seeking
bekämpfen, die zugleich Ursachen und Folgen der Un-
gleichheit sind.
Es wird nicht leicht sein, diese Ungleichheit zu mildern,
denn derzeit nimmt sie generell in reichen Ländern zu –
sogar in jenen, deren Sozial- und Steuerpolitik aktiv dage-
gen anzugehen versucht. Zusätzliche Probleme schafft der
an sich begrüßenswerte technische Wandel: Automatisie-
rung, Globalisierung und die Auslagerung von Produkti-

onsstätten erzeugten bislang zwar Arbeitslosigkeit – aber
normalerweise nur vorübergehend, so dass auf Dauer
spätestens die nächste Generation von höherem Lebens-
standard und gestiegener Lebenserwartung profitieren
kann. Nun scheint der technische Wandel nur noch ande-
ren Ländern oder den Besitzern der Maschinen Vorteile zu
bringen. Gewiss sollte man sich hüten, unter dem Ein-
druck der anhaltenden Weltwirtschaftskrise allzu pessimi-
stisch zu werden. Doch die Befürchtungen sind begründet,
und unter den Ökonomen wächst die Sorge.
Was lässt sich gegen den Pessimismus ins Treffen
führen? Zum einen die Hoffnung, dass der unzureichend
repräsentierte Teil der Bevölkerung auf demokratischem
Weg Interessenvertreter installieren wird. Das mag
schwierig sein und wird nicht ohne Gefahr für die Demo-
kratie abgehen, aber unmöglich ist es nicht.
Die zweite, stärkere Hoffnung beziehe ich aus der Ge -
schichte: Auf lange Sicht passen die Menschen die Lebens-
umstände ihren Bedürfnissen an. Es ist nicht so, als würde
sich ein Asteroid der Erde nähern, der die Menschheit
auszulöschen droht. Soziale Vereinbarungen lassen sich
ändern, wenn es sein muss. Jedoch bin ich überzeugt, dass
uns das derzeitige Ausmaß unproduktiver Bereicherung
und die dadurch erzeugte extreme Ungleichheit zu Grunde
richten werden, falls wir nichts dagegen unternehmen.

QUELLEN
Deaton, A.: Der große Ausbruch: Von Armut und Wohlstand der
Nationen. Klett-Cotta, Stuttgart 2017
Henderson, D. R.: Rent Seeking. In: The Concise Encyclopedia of
Economics. Zweite Auflage. Liberty Fund, Indianapolis 2007
http://www.econlib.org/library/Enc/RentSeeking.html
Organization for Economic Co-operation and Development:
Growing Unequal? Income Distribution and Poverty in OECD Coun-
tries. Paris 2008
http://www.oecd.org/els/soc/growingunequalincomedistributionandpover-
tyinoecdcountries.htm

Bei einer Volksabstimmung
im Juni 2016 stimmte eine
knappe Mehrheit der Briten
für den Austritt ihres Landes
aus der Europäischen Union.
Viele Bürger gaben mit dem
Brexit ihrer generellen Unzu-
friedenheit mit der ungleichen
Verteilung des Wohlstands in
England und in Europa Aus-
druck. In der Bildmitte ist
Nigel Farage zu sehen, Anfüh-
rer der europakritischen UK
Independence Party (UKIP).

GETTY IMAGES / CHRISTOPHER FURLONG


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