SdW0517

(coco) #1
D

ie Gleichung an + bn = cn hat keine Lösung,
wenn a, b, c und n positive ganze Zahlen sind
und n größer als 2 ist. Dieser »Große Satz von
Fermat« ist unter anderem deswegen so be-
rühmt, weil es mehr als 350 Jahre dauerte, seine
Gültigkeit zu beweisen, nachdem Pierre de Fermat ihn
um 1640 als Randbemerkung niedergeschrieben hatte.
Die bedeutendsten Mathematiker der letzten Jahrhun-
derte sind daran gescheitert, und der erst 1994 gefun-
dene Beweis ist so kompliziert, dass er fast 100 Seiten
Text umfasst.
Über den Großen Satz von Fermat wurden populär-
wissenschaftliche Bücher geschrieben, Fernsehdoku-
mentationen gedreht, und Andrew Wiles, der britische
Mathematiker, der den lang gesuchten Beweis endlich
fand, erhielt reihenweise Auszeichnungen. Im Schat-
ten dieses Ruhm steht der »kleine Satz von Fermat«,
der folgendermaßen lautet:

ap a (mod p)


In dieser Formel ist a eine beliebige ganze Zahl und p
eine Primzahl. Der dreifache horizontale Strich in der
Mitte ist kein falsch geschriebenes Gleichheitszeichen,
sondern beschreibt etwas, was in der Mathematik
»Kongruenz« genannt wird. Zwei Zahlen sind kongru-
ent bezüglich einer zusätzlichen ganzen Zahl, des so
genannten »Moduls«, wenn die beiden Zahlen bei der
Division durch den Modul denselben Rest haben.
Fermats kleiner Satz besagt also, dass eine ganze
Zahl a, die man zur Potenz p erhebt, kongruent bezüg-
lich p (»modulo p«) zur ursprünglichen ganzen Zahl a
ist. Berechnet man zum Beispiel die dritte Potenz von
4, dann ergibt das 64. Der Rest der Division von 64
durch 3 ist 1, genauso wie der Rest der Division von 4
durch 3. Beide Zahlen sind also wirklich kongruent.
Dieses Herumrechnen mit Kongruenzen ist nicht so
weit hergeholt, wie es auf den ersten Blick scheinen
mag. Genau dieses Prinzip verwenden wir ständig in

unserem Alltag. Warum steht um 20 Uhr der Stunden-
zeiger auf der 8? Weil Uhren die Stundenzahl generell
modulo 12 angeben. In der Tat lässt 20 bei der Division
durch 12 den Rest 8, ebenso wie die Zahl 8 selbst.

F

ermats kleiner Satz musste bei Weitem nicht so
lange auf einen Beweis warten wie sein großes
Gegenstück. Den ersten publizierte 1736 kein
Geringerer als der große Mathematiker Leonhard
Euler. Und im Gegensatz zu seinem berühmten großen
Bruder hat der kleine Satz sogar praktische Anwen-
dung gefunden, zum Beispiel den »Miller-Rabin-Test«:
Wer wissen will, ob eine Zahl p eine Primzahl ist, sieht
nach, ob die Gleichung ap a (mod p) mit geeigneten
Werten für a erfüllt ist. Wenn nicht, kann p keine
Primzahl sein. Für die riesengroßen Zahlen, die bei
modernen Kryptografieverfahren vorkommen, geht das
weitaus schneller, als p zur Probe durch lauter kleinere
Zahlen zu dividieren und zu sehen, ob ein Rest bleibt.
In meiner Jugend habe ich die Bücher über die
spannende Geschichte von Fermats Großem Satz
verschlungen, war fasziniert von den vielen fehlge-
schlagenen Versuchen, ihn zu beweisen, und dem
langen und mühsamen Weg, den Andrew Wiles
gegangen ist. Heute freue ich mich ebenso, dass ich
mittlerweile auch den weniger prominenten kleinen
Satz kennen gelernt habe.
Die beiden Sätze von Fermat vereinen all das, was
die Mathematik für mich so spannend und wichtig
macht. Sie beschäftigen sich mit Zusammenhängen
zwischen Zahlen – einer komplett abstrakten Disziplin,
die der Philosophie fast schon näher steht als der
Naturwissenschaft. Trotzdem ist der eine Satz heute
Grundlage vieler realer Anwendungen und Produkte;
der andere Satz hat über die Jahrhunderte hinweg die
Menschen inspiriert und tut das bis heute noch.
Abstrakte Mathematik, angewandtes Wissen und
inspirierende Geschichten: Mehr kann man sich von
ein paar mathematischen Symbolen kaum wünschen.

FREISTETTERS FORMELWELT


KLEIN, ABER OHO!


Vom »Großen Satz von Fermat« hat fast jeder schon
gehört. Doch es lohnt sich, auch einen Blick auf
ein anderes Ergebnis des berühmten Mathematikers
Pierre de Fermat (1607–1663) zu werfen.

Florian Freistetter ist Astronom, Autor und Wissenschaftskabarettist
bei den »Science Busters«.
SIMON KUMM & SUSANNE SCHLIE (WWW.FLORIAN-FREISTETTER.DE/BILDER.HTML) / CC BY-SA 3.0 (CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY-SA/3.0/LEGALCODE)  spektrum.de/artikel/1443915

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