SdWSBMH0217

(Martin Jones) #1
EPIMUTATIONEN

GENREGULATION

DURCH RNA-SCHNIPSEL

RNA-Moleküle können Gene abschalten, etwa mittels
»RNA-Interferenz«, und so ohne Mutation Resistenzen oder
Verhaltens änderungen bewirken. Solche Vorgänge gelten
meist als epigenetisch – nicht unbedingt zu Recht.

Stefanie Reinberger ist promovierte Biologin
und Wissenschaftsjournalistin in Köln.

 spektrum.de/artikel/


Wenn Infektionserreger gegen Medikamente resistent
werden, schrillen bei Ärzten die Alarmglocken –
und erst recht, wenn ein neuer Mechanismus dahin-
tersteckt. Die große Sorge: Medizinische Waffen gegen
gefährliche Keime könnten stumpf werden. Einen solchen
neuen Resistenzme chanismus entdeckte kürzlich ein
Wissenschaftlerteam aus den USA und Spanien: Der
Köpfchenschimmel Mucor circinelloides, der in seltenen
Fällen tödliche Infektionen auslösen kann, entkommt der
Wirkung des antimykotisch wir kenden Stoffs Tacrolimus
mit Hilfe der so genannten RNA-Interferenz (RNAi). Der
Begriff fasst eine Gruppe natürlich vorkommender Me-
chanismen zum Abschalten von Genen zusammen, bei
denen spezielle RNA-Moleküle die normale Genexpressi-
on stören. Diese produziert zunächst eine Boten-RNA
genannte Abschrift des Gens, die dann ihrerseits als
Bauanleitung zur Proteinherstellung dient. RNA-Interfe-
renz kann an verschiedenen Punkten dieses Ablaufs
ansetzen, wobei das Resultat dasselbe ist: Es entsteht
kein oder nur noch wenig Protein.
Die Forscher behandelten den Pilz mit Tacrolimus und
entdeckten daraufhin einige resistente Zellen. Ein Groß-
teil davon enthielt Mutationen, also Veränderungen der
DNA-Sequenz, unter anderem in einem Gen namens
fkbA. Dieses liefert den Bauplan für das Protein FKBP12,
an dem Tacrolimus angreift. Bei rund einem Drittel der
untersuchten Pilzzellen ließ sich jedoch keine derartige
Modifikation des Erbguts ausmachen. Stattdessen ent-
deckten die Wissenschaftler kleine RNA-Stücke, die in
der Lage waren, das fkbA-Gen – und nur dieses – per
RNA-Interferenz stillzulegen.
»Dieser Mechanismus gibt dem Organismus mehr Fle-
xibilität«, erklärt der Studienleiter Joseph Heitman von der

Duke University School of Medicine in Durham (North Caro-
lina). »Wenn sich die Bedingungen ändern, ist es einfa-
cher, wieder zum Ausgangszustand zurückzukehren.«
Tatsächlich verschwanden die RNA-Schnipsel ebenso
wieder wie die Resistenz, sobald die Pilzzellen in eine
Nährlösung ohne den Wirkstoff überführt wurden. Die
RNA-Interferenz scheint demnach auch definitiv für die
Tacrolimusresistenz verantwortlich zu sein. Mit einem
solchen Mechanismus könnte der Pilz sehr schnell auf das
Gift reagieren – ohne den Preis zu bezahlen, den eine
dauerhafte Anpassung mit sich bringt: Mutationen im
Genom bleiben erhalten und können zudem Nachteile für
den Organismus bedeuten, etwa eine geringere Stoff-
wechselrate oder schlechtere Bedingungen für die Ver-
mehrung.

Was gehört alles zur Epigenetik?
Den neu entdeckten Effekt betrachten die Studienautoren
als epigenetisch, da er die DNA-Sequenz des Erbguts nicht
verändert, und betiteln ihn entsprechend als Epimutation.
Aber handelt es sich bei dieser Resistenz wirklich um
einen epigenetischen Vorgang? »Diese Frage spaltet die
Forschergemeinde in zwei Lager«, sagt Marc Bühler vom
Friedrich Miescher Insti tute for Biomedical Research in
Basel. »Manche benutzen den Begriff Epigenetik immer
dann, wenn ein Gen ohne Veränderung der DNA-Sequenz
stillgelegt oder aktiviert wird.« Das beinhaltet auch so
genannte posttranskriptionelle Regulationsmechanismen:
Sie kommen zum Tragen, wenn das betreffende Gen
bereits abgelesen ist, und funktionieren etwa über den
Abbau der Boten-RNA.
Bühler selbst zählt sich zum zweiten Lager, das die
Definition enger steckt. Demnach beinhaltet Epigenetik
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