nur solche Vorgänge, bei denen die veränderte Genaktivi-
tät auch nach Wegfall des ursprünglichen Auslösers
erhalten bleibt und unter Umständen sogar vererbt werden
kann. In dieser Sichtweise wäre die RNAi-Tacrolimusresis-
tenz kein echtes epigenetisches Phänomen – war der
Effekt doch mit Weglassen des Wirkstoffs schnell verpufft.
»Nicht alles, was RNAi ist, ist auch Epigenetik«, bekräf-
tigt Michael Wassenegger, der im AlPlanta-Institut der RLP
AgroScience GmbH in Neustadt an der Weinstraße an
epigenetischen Mechanismen bei Pflanzen forscht. »Aber«,
so ergänzt er, »RNA kann epigenetische Veränderungen
steuern.« Das hat der Molekularbiologe bereits 1994 bei
Pflanzen entdeckt. Laut seinen Beob achtungen sorgten
RNA-Moleküle dafür, dass ins Pflanzengenom integriertes
Erbgut des Kartoffel-Spindelknollen-Viroids (potato spindle
tuber viroid, PSTVd) zusätzliche Methylgruppen verpasst
bekam. Dabei handelt es sich um den bekanntesten epige-
netischen Mechanismus: Kleine Molekülanhängsel an der
DNA, besagte Methylgruppen, können die Aktivität eines
Gens reduzieren oder es sogar ganz stilllegen.
Das Anheften neuer Methylgruppen erfolgt mit Hilfe
von Enzymen, den DNA-Methylasen. Wassenegger hat
damals erkannt, dass manche RNA-Moleküle in der Lage
sind, die DNA-Methylasen zu bestimmten Orten im Genom
zu führen, die abgeschaltet werden sollen. »Die RNA-Mo-
leküle heften sich an die entsprechenden Gensequenzen
im Erbgut und dirigieren die Enzyme so an Ort und Stelle.«
Dadurch wurde in dem von Wassenegger untersuchten
Beispiel ausschließlich das eingebaute Viroidgenom me-
thyliert, nicht jedoch die eigentliche Pflanzen-DNA.
Die Behauptung, dass RNA mit DNA in dieser Weise
interagieren kann, war revolutionär und wurde in der
Forschergemeinde entsprechend kritisch beäugt. »Bei mei-
nem ersten Vortrag, bei dem ich das Prinzip der ›RNA-di-
rected DNA-methylation‹ vorstellte, wurde ich hingestellt,
als ob ich sie nicht alle auf der Reihe hätte«, flachst Was-
senegger. Erst einige Jahre später, 1998, wurde die RNA-
Interferenz erstmals beschrieben. Der Begriff kam in der
Folgezeit regelrecht in Mode – ebenso wie das For-
schungsfeld der Epigenetik.
Stillgelegte Genabschnitte
Heute weiß man, dass RNA-Moleküle auch bei Pilzen
epigenetische Verän derungen hervorrufen können. Bühler
untersucht dies bei der Spalthefe Schizosaccharomyces
pombe. »Hier können RNAi-Mechanismen an bestimmten
Positionen im Genom dazu führen, dass so genanntes
Heterochromatin gebildet wird«, erläutert er.
Das heißt: Der Chromatin genannte Komplex aus DNA
und Eiweißmolekülen, in dem das Erbgut im Zellkern
organisiert ist, wird dort dichter zusammengepackt, so
dass es nicht abgelesen werden kann. Genabschnitte in
diesem Bereich sind daher stillgelegt. Ist das Heterochro-
matin erst einmal gebildet, bleibt es unter Umständen
auch ohne weitere RNA-Interferenz erhalten – ein epigene-
tischer Vorgang also, der zudem der strengeren Definition
Stand hält.
Ähnliche RNAi-abhängige Mechanis men haben For-
scher in jüngster Zeit bei einfachen Tieren entdeckt, etwa
beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans. »Ob dieses
Phänomen ebenfalls bei höheren Eukaryoten wie Säugetie-
ren existiert, ist noch nicht endgültig geklärt«, schränkt
Bühler ein.
Hinweise darauf, dass auch hier RNA-Moleküle epige-
netisch agieren könnten, kommen aus dem Labor von
Isabelle Mansuy in Zürich. Sie hatte mit ihrem Team
beobachtet, dass sich Stress bei neugeborenen Mäusen
auf nachfolgende Generationen überträgt. Verantwortlich
machten die Forscher kleine RNA-Schnipsel, genannt
»small noncoding RNAs« (kurz: sncRNAs), die sich in
ungewöhnlich hoher Anzahl im Sperma von traumatisier-
ten Tieren tummelten. Unter den Molekülen fanden sich
einige, die der natürlichen Stressantwort in die Quere
kommen.
In Mansuys Experiment genügte es, RNA aus dem
Sperma traumatisierter Tiere in befruchtete Eizellen nor-
maler Mäuse zu spritzen, um bei den Nachkommen
Stressverhalten auszulösen. Sauberer wäre die Beweisfüh-
rung jedoch, wenn es gelänge, den Effekt auf ganz spe-
zifische sncRNAs zurückzu führen. Unklar ist zudem,
weshalb die Generation der Urenkel ebenfalls Stressver-
halten an den Tag legt, obwohl diese keine auffälligen
RNA-Muster zeigen. »Vermutlich spielen weitere epi-
genetische Mechanismen eine Rolle, die wir aber noch
identifizieren müssen«, meint Mansuy.
Wenn ein zufällig entstandener
Resistenzmechanismus plötzlich auffällt
Beim Köpfchenschimmel Mucor circinelloides glauben die
Forscher um Heitman offensichtlich nicht daran, dass
andere epigenetische Mechanismen mitwirken. Eine unge-
wöhnliche Methylierung konnten sie nicht nachweisen,
weshalb der Resistenzeffekt ihrer Überzeugung nach allein
auf RNAi zurückgeht.
Nach Abweichungen im Aufbau des Chromatins hatten
sie allerdings nicht gesucht. »Wenn sich das bestätigt,
wäre das eine der we nigen Arbeiten, die zeigt, dass sich
durch Einfluss von außen – in diesem Fall durch die Dro-
ge – eine solche Veränderung tatsächlich hervorrufen
lässt«, gibt Bühler zu.
Dass es sich dabei aber um einen gezielten Resistenz-
mechanismus handelt, bezweifelt er stark: »In einem
Organismus werden laufend kleine interferierende RNA-
Moleküle gegen irgendetwas gebildet. Jedoch merkt man
davon normalerweise nichts.« Bühler vermutet daher, dass
die resistenten Zellen gar nicht aktiv per RNAi auf den
antimykotischen Wirkstoff reagieren. Stattdessen hätten
einige Pilzzellen die RNA-Moleküle zufällig produziert, was
erst in Anwesenheit des Wirkstoffs und durch den so
entstandenen Selektionsdruck aufgefallen sei.
QUELLEN
Calo, S. et al.: Antifungal Drug Resistance Evoked via RNAi-Depen-
dent Epimutations. In: Nature 513, S. 555–558, 2014
Gapp, K. et al.: Implications of Sperm RNAs in Trangenerational
Inheritance of the Effects of Early Trauma in Mice. In: Nature
Neuroscience 17, S. 667– 669, 2014