SdWSBMH0217

(Martin Jones) #1

GENEXPRESSION


EPIGENETIK FÜR


FORTGESCHRITTENE


Unsere DNA trägt kleine chemische Signaturen – und zwar mehr als
gedacht. Aber auch die davon abgelesenen RNA-Moleküle sitzen
voller unterschiedlichster Markierungen. Deren Sinn beginnen For-
scher erst allmählich aufzuschlüsseln.

Cassandra Willyard ist Wissenschaftsjournalistin
in Madison, USA.

 spektrum.de/artikel/


Der Chemiker Chuan He suchte 2008 gerade nach
einer guten Idee für ein neues Projekt, als er zufällig
mit dem Molekularbiologen Tao Pan ins Gespräch
kam, der im selben Gebäude an der University of Chicago
(Illinois) arbeitete. Die National Institutes of Health der
USA stellten Mittel für gewagte, bahnbrechende For-
schungen bereit, und He wollte sich dafür bewerben. Er
untersuchte damals eine Familie von Proteinen, die DNA-
Schäden reparieren, und vermutete, dass diese Enzyme
sich auch um RNA-Moleküle kümmern, also die Abschrif-
ten der DNA-Erbsequenzen auf den Chromosomen, die

unter anderem als Vorlagen für Proteine dienen. Pan
seinerseits befasste sich mit spezifischen chemischen
Markierungen an RNA-Mole külen, die als Methylgruppen
bezeichnet werden.
In jenen Jahren begann das so genannte Epigenom die
Genetiker zu begeistern: Damit meinen sie eine Vielfalt
chemischer Signaturen an der DNA und chromosomalen
Proteinen. Solche »Schildchen« – etwa Methylgruppen –
sagen Zellen, welche Gene gerade abgelesen werden
sollen und welche stumm bleiben müssen. Das hilft ihnen
bei der Differenzierung in verschiedene Zelltypen und
Gewebe sowie deren gesundem Fortbestand. In Krebszel-
len etwa sind die Marker oft falsch gesetzt.
Noch vor zehn Jahren konzentrierte sich die epigene-
tische Forschung hauptsächlich auf chemische Signaturen
im Bereich der DNA und der Histone, also jener Proteine,
um die sich die Erbsequenzen wickeln. Allerdings hatte
man schon damals bei RNA mehr als 100 verschiedene
Arten chemischer Markierungen nachgewiesen. Nur kann-
te niemand deren Zweck. Weil manche der Enzyme, die He
untersuchte, Methylgruppen von DNA abspalten, über-
legten He und Pan nun, ob darunter womöglich auch ein
Molekül war, das eine RNA-Signatur entfernt. Das böte
eine völlig neue Möglichkeit, um die Genexpression, also
letztlich die Proteinherstellung, zu kontrollieren.
Zur Erforschung des Epigenoms (also der vererbbaren
Markierungen der DNA; »Epigenomik«) trat somit als

AUF EINEN BLICK
RNA-SIGNATUREN IM VISIER

1


RNA-Transkripte, darunter Boten-RNA, werden mit
Methylgruppen vielfältig modifiziert. Die Markie -
rungen regulieren in hochkomplexer Weise die Gen-
expression.

2


Auch an DNA entdecken Forscher bislang unbekann-
te Methylierungen. Deren Bedeutung lässt sich oft
erst erahnen.
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