bekannt gewesen. Chuan He wertete den Befund als
Anzeichen dafür, dass Genexpression auch über die RNA
geregelt wird.
Zwei andere Forscherteams veröffentlichten 2012 un-
abhängig voneinander die ersten RNA-Karten mit Posi-
tionen von m^6 A. An den Botenmolekülen von rund 7000
Genen fanden sich insgesamt mehr als 12 000 Methylie-
rungsorte. Für das neue Forschungsfeld bedeutete das
den Durchbruch. Interessanterweise verteilten sich die er-
fassten Markierungen nicht jeweils gleichmäßig über die
gesamte RNA-Sequenz. Vielmehr saßen sie an Positionen,
die für eine Rolle beim alternativen Spleißen der Tran-
skripte sprechen – ein Vorgang, bei dem dasselbe Gen
Vorlagen für verschiedene Proteine liefert. In den letzten
Jahren ergaben sich noch weitere Funktionen von m^6 A:
Die Methylierung beeinflusst auch die Stabilität des Tran-
skripts; und wie schon erwähnt entscheidet sie darüber
mit, ob an der Boten-RNA ein Protein entsteht oder nicht.
Solche Aufgaben kamen zu Tage, als die Wissenschaft-
ler zumindest ansatzweise der dafür zuständigen Maschi-
nerie in den Zellen auf die Schliche kamen. Demnach
erfordert jede Markierung einen »Schreiber« (writer), der
sie setzt, einen »Ausradierer« (eraser), der sie wieder
entfernt, und einen »Leser« (reader), der das chemische
Schildchen deutet (siehe »Marken setzen, verstehen,
wieder entfernen ...«, links).
Ein bestimmter m^6 A-Leser sorgt beispielsweise für den
beschleunigten Abbau von Boten-RNA, indem er diese der
zellulären Abfallbeseitigung zuführt. Ein anderes Lesemo-
lekül leitet methylierte RNA zu den Ribosomen – was die
dort ablaufende Proteinsynthese fördert. Was davon im
Einzelfall geschieht, hängt von der Position der Markierung
ab, aber auch davon, welcher Leser sich daran bindet.
Diese Zusammenhänge genauer aufzuschlüsseln, erweist
sich bis heute als äußerst diffizil. Zumindest steht inzwi-
schen fest: Für die Zelldifferenzierung ist m^6 A unverzicht-
bar. Ohne die Markierung bleiben Zellen in einem Stamm-
zellstadium oder wenig später stecken.
Setzen die Forscher bei Mäusen den m^6 A-Schreiber
außer Gefecht, dann stirbt ein Großteil der Embryonen.
Nach He könnten die Methylmarkierungen dazu notwendig
sein, die RNA-Aktivität der tausenden Transkripte in einer
Zelle auf ihr jeweiliges Differenzierungsstadium – oder
auch Arbeitsstadium – abzustimmen. Mit jedem Entwick-
lungsschritt oder je nach Aufgabe muss sich dieses Ange-
bot präzise und zeitgenau ändern. He nennt den Vorgang
»transcriptome switch« (Transkriptom-Wechsel). Die Biolo-
gin Wendy Gilbert vom Massachusetts Institute of Techno-
logy in Cambridge lobt Hes Arbeiten und Interpretationen,
betont aber: Außer den RNA-Markierungen haben Zellen
weitere Möglichkeiten, um die Expression großer Gen-
gruppen zu koordinieren. So genannte Mikro-RNAs etwa,
kurze Fragmente, die nicht für Proteine kodieren, helfen
dabei, Gene stumm zu schalten.
Wie eine alte Studie über Grünalgen den Forschern auf
die Sprünge half
Dass RNA-Moleküle eine Menge Modifizierungen an allen
vier ihrer Basen tragen, war schon länger bekannt. Im
Gegensatz dazu wirkte die DNA von Säugetieren geradezu
ärmlich ausgestattet. Sie schien nur wenige Markierungen
aufzuweisen und die ausschließlich an der Kernbase
Cytosin. Die häufigste Signatur ist 5-Methylcytosin oder
(^5) mC. Waren andere DNA-Methylierungen vielleicht nur
sehr schwer zu finden? Bakterien zumindest haben in ihrer
DNA ein Äquivalent des m^6 A von RNA: N^6 -Methyladenin,
kurz^6 mA. Anhand der Markierung unterscheiden die
Mikroben zwischen eigener und fremder DNA.
Im Jahr 2013 stieß Hes Mitarbeiter Ye Fu auf eine
Arbeit aus den 1970er Jahren, wonach Forscher in der
DNA von Algen methyliertes Adenin nachgewiesen
hatten. Diesem Befund war aber niemand weiter nachge-
gangen. Fu und sein Kollege Guan-Zheng Luo kartierten
nun die Signatur^6 mA bei der einzelligen Grünalge Chla-
Marken setzen, verstehen,
wieder entfernen ...
Ein Großteil der Erforschung epigenetischer Modifikationen konzentrierte sich
bislang auf Methylmarkierungen an Cytosinen der DNA. Neuere Untersu-
chungen haben jetzt methylierte Adeninbasen sowohl von DNA als auch von
RNA in den Blickpunkt gerückt. Mit der Identifizierung von Proteinen, die
Markierungen schreiben, lesen und wieder entfernen, wird die Bedeutung die-
ses Mechanismus für die Regulation der Genexpression deutlich.
(^6) mA kommt in der DNA
einiger Organismen vor. Es tritt in
Gruppen in der Nähe von Genanfängen
auf und beeinflusst so die Produk-
tion von Boten-RNA.
mRNA
DNA
Zellkern
Zytoplasma
m^6 A tritt in der Boten-RNA
auf. Proteine, die es lesen,
erfüllen zahlreiche Funk-
tionen bei der Regulation
der Proteinproduktion.
Transport zur
zellulären Abfall-
entsorgung
Steigerung der
Translation und der
damit verbundenen
Proteinsynthese
Beeinflussung
des alternativen
Spleißens
Radier-
protein Leseprotein
Schreibprotein
NIK SPENCER / NATURE; WILLYARD, C.: A NEW TWIST ON EPIGENETICS. IN: NATURE 542, S. 406-408, 2017; DT. BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT