Cuticula auswirken; die eine wurde von David Gubb und
Antonio GarcíaBellido geleitet, die damals an der Univer
sidad Autónoma de Madrid arbeiteten, die andere von
Adler. Wie wir und andere letztlich herausfanden, gibt es
bei Drosophila sechs Gene, die als Schlüsselkomponenten
an dem Polaritätssystem mitwirken. Zwei davon, die
Adler 1998 isolierte, verhalten sich ganz ähnlich wie
frizzled. Mutationen in einem dieser Gene lassen eine
Reihe von Haarwirbeln entstehen, die an die Pinselstriche
in Gemälden von Vincent van Gogh erinnern. Deshalb gab
er einem Gen den Namen van Gogh, das andere nannte er
nach einem von dessen berühmtesten Bildern starry night.
Ein weiterer Schritt zur Aufklärung der zellulären
Grundlagen planarer Polarität bei Drosophila war schon
einige Jahre früher gelungen. Lily Wong, die damals als
Doktorandin in Adlers Labor arbeitete, untersuchte die
Entwicklung der Flügel und wollte wissen, wie sich die
Haare dabei anordnen und wie Mutationen der Gewebe
polaritätsgene diesen Prozess beeinflussen. Sie stellte
fest: Jede Zelle bildet an ihrem äußersten Ende ein Haar,
und bei Mutationen, durch die sich die Polarität ändert,
verschiebt sich der Entstehungsort der Haare. Daher
stellten Wong und Adler die Hypothese auf, dass die
polaritätsbestimmenden Proteine an einem Signalweg
mitwirken, der die Struktur des Zytoskeletts vorgibt – je
nes Geflechts aus polymerisierten Proteinen, das Form
und Bewegungen der Zelle steuert.
Die lokale Signalübermittlung von Zelle zu Zelle konnte
Charles R. Vinson nachweisen, der damals ebenfalls
Doktorand in Adlers Labor war. Er erzeugte in einem sich
normal entwickelnden Flügel kleine Stellen mit mutier
tem frizzledGen. Dadurch drehten benachbarte, nicht
mutierte Zellen die Orientierung ihrer Haare um ungefähr
180 Grad. Dagegen wurden normale Zellen, die von dem
mutieren Abschnitt weiter entfernt waren, nicht beein
flusst. Laut der Interpretation von Vinson und Adler steu
ert demnach das Polaritätssystem die Orientierung der
Zellen durch Signale, die nur auf kurze Entfernungen wir
ken. Ein über größere Strecken wirkender Faktor, beispiel
weise ein chemischer Gradient, scheint hierfür nicht
erforderlich zu sein.
Die Idee, Polaritätsproteine könnten die Ausbildung des
Zytoskeletts steuern, brachte einige Forscher darauf, die
genaue Verteilung dieser Moleküle in der Zelle zu studie
ren. Tatsächlich kommen sie dort nicht gleichmäßig vor,
können also auf den verschiedenen Seiten einer Zelle
unterschiedliche Wirkungen haben.
Bis 2005 hatten Tadashi Uemura von der Universität
Kyoto in Japan, Jeffrey Axelrod von der Stanford Universi
ty, Marek Mlodzik von der Icahn School of Medicine at
Mount Sinai sowie David und Helen Strutt von der Univer
sity of Sheffield in England eine Reihe verblüffender
Verteilungsmuster gefunden. So sammeln sich in der
Einzelzellschicht an der Flügeloberfläche von Taufliegen
die VanGoghProteine in jeder einzelnen Zelle bevorzugt
auf jener Seite, die dem Rumpf am nächsten ist. Frizzled
Proteine reichern sich dagegen auf der gegenüberliegen
den Seite an, dem Flügelende zu. Die Produkte von starry
night findet man wiederum auf beiden Seiten der Zellen.
Ein komplexes Wechselspiel von Anziehung
und Abstoßung
Die asymmetrische Verteilung legte ein Modell für die
Funktionsweise des Orientierungsmechanismus nahe,
das auch von einer großen Zahl experimenteller Befunde
gestützt wird. Es geht von zwei Typen von Wechselwirkun
gen zwischen den VanGogh und FrizzledProteinen aus:
gegenseitige Anziehung und Abstoßung. So zie
hen beispielsweise die VanGoghProteine auf der körper
nahen Seite der Zellen anscheinend die direkt gegen
überliegenden FrizzledProteine in der Nachbarzelle an.
Innerhalb derselben Zelle dagegen stoßen VanGogh und
FrizzledProteine einander ab, so dass sie auf den entge
gengesetzten Seiten der Zelle zu liegen kommen. Die
Mechanismen der hypothetischen Anziehungs und Absto
ßungskräfte kennen wir noch nicht; sie werden derzeit
intensiv erforscht.
SCIENCE PHOTO LIBRARY / ANATOMICAL TRAVELOGUE
Das computergenerierte Bild zeigt deutlich die Neuralrinne
eines 22 Tage alten menschlichen Embryos. Aus den
seitlichen Verdickungen gehen später die Skelettmuskeln
und Knochen hervor.