SdWSBMH0217

(Martin Jones) #1

ders als im Flügel der Taufliege entspringt ein Haar beim
Menschen nicht einer einzelnen Zelle, sondern einem
Follikel mit Dutzenden oder Hunderten von Zellen. Und im
Gegensatz zu den jeweils benachbarten Zellen des Insek­
tenflügels berühren sich die Haarfollikel des Menschen
nicht unmittelbar; sie sind meist durch Dutzende von
Hautzellen getrennt.
Aber trotz solcher Unterschiede führt das Inaktivie­
ren von Polaritätsgenen bei Insekten und Säugetieren zu
ganz ähnlichen Resultaten. Im Jahr 2004 schaltete Nino
Guo, der damals als Doktorand in Nathans Labor arbeite­
te, das Gen Frizzled 6 bei Mäusen mit gentechnischen
Methoden aus. Daraufhin waren die Haarfollikel nicht
mehr parallel zueinander ausgerichtet, sondern bildeten
eine Reihe von Wirbeln, die stark an die Muster auf den
Flügeln der Drosophila­Mutanten erinnerten (siehe »Ord­
nung muss sein«, oben).
Die vielleicht größte Überraschung stellte sich jedoch
ein, als man in Nathans Labor der Frage nachging, wie
die Nervenzellen im Säugetiergehirn miteinander ver­
knüpft sind. Die wichtigsten Leitungsbahnen in diesem
kom plexen Netzwerk werden bereits während der Embry­
onalentwicklung angelegt.
Einzelne Neurone senden Axone aus – Fasern, die
im Gehirn große Entfernungen überbrücken. Diese wach­
sen auf festgelegten Wegen auf ihre Zielpunkte zu.
Nathans und sein Kollege Yanshu Wang von der Johns
Hopkins University School of Medicine wiesen nach,
dass das Gen Frizzled 3 entscheidend daran mitwirkt, die
Axone durch das Labyrinth des embryonalen Nerven­
gewebes zu dirigieren. In Mäusen ohne Frizzled 3 fanden
die Axone ihren Weg nicht mehr und wuchsen in die
falsche Richtung.
Als Nächstes wollte Nathans Arbeitsgruppe herausfin­
den, ob das Gen Frizzled 6, das für die Verteilung der
Haare derart wichtig ist, Frizzled 3 ersetzen kann und


umgekehrt. An gentechnisch veränderten Mäusen konn­
ten die Forscher beobachten, dass Frizzled 3 einen voll
funktionsfähigen Stellvertreter für Frizzled 6 abgibt und bei
dessen Abwesenheit ein normales Haarmuster erzeugt.
Umgekehrt konnte Frizzled 6 allerdings nur teilweise die
Rolle von Frizzled 3 beim Auswachsen von Axonen über­
nehmen. Die Polaritätssysteme in der Haut und im Gehirn
von Mäusen ähneln sich also, sind aber nicht identisch.
Die Zellpolarität spielt im Leben aller Wirbeltiere ein­
schließlich des Menschen eine wichtige Rolle, und das
von den ersten Tagen der Embryonalentwicklung bis hin
zu jedem einzelnen Atemzug während des ganzen Le­
bens. Dabei transportieren die Zilien in unseren Atemwe­
gen nämlich sich ansammelnden Schleim immer nur in
eine Richtung: nach oben und aus dem Brustkorb heraus.
Unter den vielen genetischen Veränderungen, die zu
der unglaublichen Vielgestaltigkeit des Tierreichs geführt
haben, waren auch solche in Erbfaktoren, die Polarität
signalisieren. Diese Gengruppe und die zugehörigen
Proteine erwiesen sich im Lauf der letzten halben Milliar­
de Jahre als so erfolgreich, dass Tiere sich ihrer seither
bedienen, um die verschiedensten evolutionären Heraus­
forderungen zu meistern.

MIT FRDL. GEN. VON

JEREMY NATHANS

normales Haarmuster mutiertes Haarmuster

Ordnung muss sein


Was ihre Haut angeht, haben Fische, Vögel
und Säugetiere ein wichtiges Merkmal
gemeinsam: Egal ob die Außenseite ihres
Körpers nun von Schuppen, Federn oder
Haaren bedeckt ist, immer organisiert sie
sich nach einem regelmäßigen Muster, das
den Tieren unter anderem einen besseren
Schutz gegen die Elemente verschafft.
Forscher haben ein halbes Dutzend Gene
isoliert, mit denen die Zellen Richtungen
erfassen und so bestimmte Muster ausprä­
gen können. Beispielsweise wachsen die
Haarzellen einer Maus parallel zueinander
wie im linken Foto. Ist dagegen eines
dieser Polaritätsgene (Frizzled 6) mutiert,
bilden die Haare Wirbel (rechts).

QUELLEN
Adler, P. N.: Planar Signaling and Morphogenesis in Drosophila.
In: Developmental Cell 2, S. 525 – 535, 2002
Wang, Y. et al.: When Whorls Collide: The Development of
Hair Patterns in Frizzled 6 Mutant Mice. In: Development 137,
S. 4091– 4099, 2010

LITERATURTIPP
Kuziora, M., McGinnis, W.: Kontrollgene für den Körperbauplan.
In: Spektrum April 1994, S. 38
Überblick über die genetische Regulation der Körpergestalt während
der Entwicklung.
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