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(Martin Jones) #1

(England) und Andrew D. Foote, heute an der Bangor
University (Wales), aufzeigten. Sie stellten zwei mutmaß-
liche Ökotypen fest: Populationen des Typs 1 erbeuten
gern Fische, insbesondere Heringe und Makrelen; jene des
Typs 2 sind auf Robben spezialisiert. Genaueren Auf-
schluss über diese Unterschiede im Beuteschema müssen
allerdings erst weitere Untersuchungen bringen.
Für die südlichen Ozeane gilt im Prinzip Ähnliches. John
W. Durban und Robert L. Pitman von der NOAA, der
Wetter und Ozeanografiebehörde der USA, entdeckten mit
ihren Mitarbeitern in antarktischen und subantarktischen
Gewässern wenigstens vier verschiedene, sich geografisch
überlappende Ökotypen, Typ A bis D genannt. Die Typ-A-
Orcas scheinen speziell Antarktische Zwergwale zu erbeu-
ten, die immerhin bis zu zehn Meter messen können. Beim
Typ B lassen sich sogar nochmals zwei Formen unterschei-
den: eine große Packeisform, die Robben von Eisschollen
herunterspült; und eine kleinere Gerlache-Form, benannt
nach der Gerlache-Straße bei der Antarktischen Halbinsel,
die am liebsten Pinguine frisst. Der Typ C, der kleinste
bisher bekannte Schwertwal überhaupt, macht auf Antark-
tische Seehechte Jagd. Vom Typ D ist wenig bekannt. Er
scheint wie die Offshore-Orcas im Nordpazifik fern der
Küsten zu leben, stiehlt gern Schwarze Seehechte von
Langleinen, hat aber vermutlich eine größere Speisekarte.
Wie mögen all jene Ökotypen entstanden sein? Lebten
die Ausgangspopulationen, aus denen sie hervorgingen,
zu Beginn ihrer Differenzierung bereits im selben Gebiet?
Immerhin wäre es denkbar, dass sie ursprünglich getrenn-
te Lebensräume innehatten und erst später die gleichen
Regionen besiedelten, als die Unterschiede zwischen
ihnen schon relativ ausgeprägt waren.
Für die Orcas der Nordhalbkugel sind die betreffenden
Daten vorerst nicht eindeutig. Einerseits sprechen Studien
von Foote und seinen Kollegen eher dafür, dass die eigen-


ständigen Entwicklungen der einzelnen Ökotypen räumlich
getrennt abliefen. Andererseits erhielten Alan Rus Hoelzel
von der Durham University (England) und seine Kollegen
Hinweise, wonach auch schon die Vorläufer der jetzigen
Ökotypen während der Auseinanderentwicklung nebenein-
ander in denselben Regionen lebten.
Für die Antarktisgebiete erscheinen die Daten klarer.
Die meisten, wenn nicht sogar alle dortigen Ökotypen
bildeten sich demzufolge vermutlich heraus, als die betref-
fenden Gruppen dort bereits zusammen vorkamen.
Fest steht allerdings, dass all diese Entwicklungen
nach Evolutionsmaßstäben rasch vonstattengegangen
sein müssen. Nach einer Genomanalyse von fünf Orca-
Ökotypen aus dem Nordpazifik und aus der Antarktis, die


das Team um Foote im Mai 2016 vorlegte, lebte der ge-
meinsame Vorfahr sämtlicher Populationen vor höchstens
250 000 Jahren.
Die große Frage ist nun, wieso sich die heutigen Öko-
typen in der Natur anscheinend praktisch nicht mehr
vermischen. Die Meeres-Freizeitparks von SeaWorld
halten schon seit mehreren Jahrzehnten auch Schwertwa-
le. Manche der Tiere stammen aus dem Nordatlantik,
andere aus dem Nordpazifik. Nach Angaben der Betreiber
sind Kälber von gemischten Paarungen lebens- und als
Erwachsene fortpflanzungsfähig. Höchstwahrscheinlich
sind die Ökotypen untereinander also nicht genetisch
unverträglich. Deswegen fällt der Verdacht nun auf die
kulturellen Unterschiede zwischen den Gruppen, denn in
letzter Zeit mehren sich Hinweise darauf, dass differieren-
de Verhaltensmus ter für die selektiven Paarungen verant-
wortlich sind.

Die Art der Nahrungsbeschaffung wird kulturell
tradiert – sogar unter Erwachsenen
Organismen, die sich in neue, getrennte Arten aufspalten,
passen sich dabei oft an unterschiedliche Nahrung an.
Auch die einzelnen Schwertwalgruppen haben sich auf
verschiedene Ernährungsgewohnheiten eingestellt. Das
betrifft zum einen körperliche Eigenschaften. So sind
Orca-Ökotypen, die andere Meeressäuger erlegen, in der
Regel größer und auch kräftiger gebaut als etwa solche,
die gern Fische jagen. Noch auffälliger sind allerdings die
Verhaltensspezialisierungen rund um die Nahrungsbeschaf-
fung. Wir Forscher halten diese Verhaltensweisen für
kulturell bedingt, weil sie so nur in bestimmten Populatio-
nen auftreten und überdies offenbar untereinander mittels
Sozialkontakten weiterge geben werden, und zwar sowohl
an die nächste als auch innerhalb derselben Generation.
Damit dürfte dies kein angeborenes, genetisch vererbtes
Verhalten darstellen, sondern ein tradiertes, das auf sozia-
lem Lernen beruht.
Beispielsweise überwältigen bestimmte Schwertwale
junge, unerfahrene Seelöwen und Seeelefanten trickreich
am Strand. Diese Jagdstrategie, bei der die Wale plötzlich
in der Brandung auftauchen und sich mit den anlanden-
den Wellen weit ins Flache vorwagen, ja bei der sie vorü-
bergehend regelrecht stranden, kennen Forscher von zwei
noch nicht erwähnten Orca-Beständen. Die eine lebt im
Indischen Ozean bei den Crozet-Inseln zwischen Madagas-
kar und der Antarktis, die andere bei der Halbinsel Valdés
an der argentinischen Atlantikküste. Allem Anschein nach
haben sich die beiden Populationen ihre jeweiligen Strate-
gien unabhängig voneinander angeeignet. Denn diese sind
gut auf die Beutesorte und die lokalen Gegebenheiten
zugeschnitten. In beiden Regionen gibt es tiefe Kanäle und
Flussmündungen, wodurch die Wale ungesehen bis dicht
ans Ufer kommen können.
In der Antarktis benutzen die großen Packeis-Orcas
vom Typ B eine geradezu geniale Technik zum Robben-
fang. Auf Englisch sagen die Forscher dazu »wave wa-
shing«. Die Robben liegen gern auf kleinen Eisschollen,
wo sie sich offenbar sicher fühlen. Doch wenn Schwert-
wale so ein Tier erspähen, erzeugen sie durch koordinier-

Lebten schon die Ausgangs­


populationen, aus denen die


heuti gen Ökotypen hervorgingen,


im selben Gebiet wie diese jetzt?

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