QUELLEN
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scheiden und einzelnen Gruppen zuordnen – somit als dis-
tinkte, sozusagen stereotype, feste Laute einer Popula tion
oder eines Ökotyps erkennen. Die einzelnen festen Laute
scheinen kontextgebunden aufzutreten. Es gibt jedoch
keinerlei Anzeichen dafür, dass dies inhaltlich etwas mit
Wörtern oder Sätzen zu tun hat, das heißt mit Sprache im
menschlichen Sinn.
Aber nicht nur zwischen den geografischen Regionen
sowie den Ökotypen desselben Gebiets unterscheiden
sich die Laute. Noch bemerkenswerter erscheinen die Ab-
weichungen zwischen den Sozialverbänden von ein- und
demselben Ökotyp. Bei den Fische fressenden, nördlichen
»residents« etwa, die von Vancouver Island bis Südost-
alaska auftreten, benutzt jede Familiengruppe ihr eigenes
Lautrepertoire aus 7 bis zu 17 distinkten Rufen. Darunter
gibt es Familien, deren Rufrepertoire sich in Teilen über-
schneidet. Die Forscher fassen diese dann zu akustischen
Klans zusammen und unterscheiden beispielsweise bei
den nördlichen »residents« die Klans A, G und R.
Allein anhand von Aufzeichnungen ihres Lautrepertoires
können wir sogar Individuen dem richtigen Ökotyp zuord-
nen sowie einem akustischen Klan und sogar einem Fami-
lienverband. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass diese
Dialekte innerhalb der Ökotypen vor Kanada bei der Part-
nerwahl eine wichtige Rolle spielen. Denn gemäß geneti-
schen Analysen der nördlichen »residents«, die Lance
Barrett-Lennard vom Vancouver Aquarium Marine Science
Centre durchführte, gleichen sich Tiere, deren Lautgebung
sich großenteils ähnelt, auch genetisch. Ihre Paarungs-
partner wählen sie bevorzugt von anders klingenden Klans
ihres Ökotyps, mit denen sie weniger nah verwandt sind.
Solches Verhalten könnte Inzucht verhindern.
Neue Erklärungsmuster für den Fortgang der
menschlichen Evolution?
Was bedeuten diese vielen Befunde für die Artsituation
des Schwertwals? Halten ihre unterschiedlichen kulturel-
len Gepflogenheiten die Ökotypen auseinander, und das
im selben Verbreitungsgebiet? Ist somit Kultur in ihrem
Fall das entscheidende trennende Element, das schließlich
sogar zu neuen Arten führen könnte?
Nach den bisherigen Beobachtungen möchte man
das annehmen, denn offenbar meiden die verschiedenen
Ökotypen der Orcas soziale Kontakte zueinander und
paaren sich nicht, obwohl gemeinsamer Nachwuchs bio-
logisch gesehen möglich wäre. Man kann sich gut vor-
stellen, dass diese kulturelle Absonderung das Erbgut der
Gruppen im Lauf der Generationen immer unterschied-
licher werden lässt, bis es irgendwann nicht mehr zuei-
nanderpasst. In so einem Szenario hätte Kultur durch-
aus das Potenzial, als Evolutionsbarriere an die Stelle einer
räumlichen Trennung zu treten. Kulturelle Gewohnhei-
ten könnten eine Artneubildung begünstigen, indem sie
verhindern, dass sich die Populationen vermischen.
Auch auf die menschliche Evolution sowie auf die
Entstehung unserer heutigen Vielfalt werfen die Erkennt-
nisse aus der Schwertwalforschung womöglich ein
neues Licht. Laut traditioneller Auffassung kamen die
meisten Selektionsdrücke in unserer Vergangenheit rein
durch Umweltveränderungen zu Stande. Doch zumindest
unsere jüngste Evolution basierte nach neueren geneti-
schen Studien vielleicht zu einem Großteil auf teils sehr
kleinräumigen kulturellen Innovationen. Forscher sprechen
von Gen-Kultur-Koevolution. Rinderhaltung etwa rief in
einigen Populationen Afrikas und Europas unabhängig
voneinander eine genetisch bedingte Toleranz für Milch-
zucker (Laktose) bei Erwachsenen hervor. Und die Inuit
Grönlands erwarben in ihrer evolutiven Vergangenheit
durch ihre fettreiche Ernährung einen effizienteren Fett-
stoffwechsel.
Dennoch zählen alle Populationen des modernen Men-
schen eindeutig zu einer Art, Homo sapiens. In früheren
Zeiten lebten allerdings meist mehrere Hominiden-, auch
Menschenarten gleichzeitig. Vielleicht war Kultur ja bei
deren Evolution eine wesentliche treibende Kraft (siehe
Spektrum Juni 2016, S. 48 und Spektrum Spezial BMH 4/2015).
Im Ganzen gesehen sind unsere Kenntnisse über den
Schwertwal trotz allem noch gering. Viele seiner Populati-
onen sind bisher wenig erforscht, so dass wir nicht wis-
sen, ob sich die hier geschilderten Befunde verallgemei-
nern lassen. Zumindest für die Meere bei Afrika weisen
vorläufige Daten allerdings darauf hin, dass dort ebenfalls
verschiedene Ökotypen nebeneinander existieren könnten.
Gilt Ähnliches für Südamerika und Südasien? Spannend
wären außerdem Untersuchungen über die Kommunikati-
onssysteme und Sozialstrukturen der Orcas der Antarktis
und Subantarktis. Zu Artbildungsprozessen – nicht nur bei
den Orcas – versprechen die immer besseren genetischen
Methoden Aufschluss. Damit hoffen wir Herkunft und
Verwandtschaftsverhältnisse der heutigen Populationen
und Ökotypen zu klären.
Denkbar ist sogar, dass Biologen in der gleichen Region
lebende Orca-Ökotypen in ein paar Jahren anhand neuer
Befunde als unterschiedliche Arten bezeichnen werden.
Mit ihren Ernährungstraditionen, ihren Lautäußerungen
und ihrem exklusiven Paarungsverhalten erfüllen die
Schwertwale einige wesentliche äußere Voraussetzungen
dafür schon jetzt.
Ihre Paarungspartner wählen
sie bevorzugt aus anders
klingenden akustischen Klans
ihres eigenen Ökotyps