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(Martin Jones) #1


Die etwa 100 Landwirte, die sich im Festsaal des
Hotels Mendenhall Inn (Chester County, Penn-
sylvania) drängen, haben vermutlich wenig Ahnung
von Genome Editing. Dafür kennen sie sich bestens
mit Pilzen aus. Zusammen züchten sie durchschnittlich
500 Tonnen Speisepilze pro Tag. Und nehmen damit
eine dominante Stellung auf dem einschlägigen US-Markt
ein, der 1,2 Milliarden Dollar schwer ist.

Etliche Pilze, die diese Landwirte in den Handel brin-
gen, werden allerdings nach kurzer Zeit braun und verder-
ben in den Verkaufsregalen. Denn sie reagieren extrem
empfindlich auf Berührung. Schon das einmalige, behutsa-
me Anfassen beim Ernten und Einpacken kann ein Enzym
aktivieren, das den Verfall beschleunigt. Das Ergebnis ist
ein schleimiges, vergammelndes Erzeugnis, das niemand
kaufen möchte.
An diesem Herbstmorgen 2015 möchte der Biologe
Yinong Yang im Mendenhall Inn den Pilzzüchtern eine
Lösung für das Problem vorschlagen. Yang, Professor für
Pflanzenpathologie an der Pennsylvania State University,
ist nach eigenem Bekunden zwar kein Pilzexperte. Das
hielt ihn aber nicht davon ab, das Genom von Agaricus
bisporus zu verändern, dem Zweisporigen Egerling oder
Zuchtchampignon, dem in der westlichen Welt bekanntes-
ten Speisepilz. Yang nutzte ein neues Werkzeug zum
Schneiden und Verändern von DNA-Molekülen, die CRIS-
PR/Cas-Methode (siehe Spektrum November 2015, S. 22).
Die Pilzzüchter im Saal haben wahrscheinlich noch nie
etwas von CRISPR/Cas gehört. Die Relevanz dieses
genomeditierenden Verfahrens wird ihnen aber schlagar-
tig klar, als Yang zwei Fotos präsentiert. Das eine zeigt
einen braunen, verrotteten Champignon. Das andere
einen makellos weißen Pilz, dessen Erbgut mit CRISPR/
Cas verändert worden ist. Alle Anwesenden begreifen
sofort, welches wirtschaftliche Poten zial hierin liegt: Von
Agaricus bisporus kommen hunderttausende Tonnen
jährlich auf den Markt. Das hat auch Yangs Universität

AUF EINEN BLICK
CRISPR/CAS, DIE PRÄZISIONSSCHERE

1


Mit dem neuen Verfahren CRISPR/Cas können Wissen-
schaftler das Erbgut eines Organismus verändern –
und das nicht nur mit bislang unerreichter Genauigkeit,
sondern auch noch einfach und preisgünstig.

2


Die Methode hat enormes ökonomisches Potenzial.
Sie ermöglicht auch kleinen Unternehmen, genetisch
veränderte Nutztiere und -pflanzen sowie Pilze zu
entwickeln und auf den Markt zu bringen.

3


Die Anwendung in der Landwirtschaft ist aber um-
stritten. Manche halten das Verfahren für weniger
bedenklich als bisherige Gentechnik. Andere hegen
die gleichen Vorbehalte wie dieser gegenüber.

PFLANZENZUCHT


GENTECHNIK


IM TARNMANTEL


CRISPR/Cas ist gerade dabei, die Landwirtschaft zu revolutionieren. Die
Methode entzieht der alten Kritik an gentechnisch veränderten Organismen
den Boden, weil sie ohne das Einpflanzen artfremden Erbguts auskommt.
Und doch rollt eine fieberhafte Debatte auf uns zu, wie damit umzugehen ist.

Stephen S. Hall ist ein preisgekrönter Wissen-
schafts autor in den USA. Er schreibt unter
anderem für »National Geographic«, »Science«,
»Technology Review« und »Scientific American«.

 spektrum.de/artikel/1414910
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