Erzeugnisse auch nur als genmanipulierte Lebensmittel
betrachten – als Eingriff in die Natur mit unvorhersehba-
ren Folgen für Gesundheit und Umwelt? Noch ist die
große Welle entsprechender Marktzulassungen nicht ins
Rollen gekommen, daher steht das Thema wenig im
Fokus der Öffentlichkeit. Doch das wird sich bald ändern.
Pilzzüchter werden wohl die Ersten sein, die dieses
Terrain betreten – wahrscheinlich schon in den kommen-
den Jahren.
Kurz nachdem Yang seinen Vortrag vor den Landwirten
gehalten hatte, sprach ihn ein Industrieforscher auf die He-
rausforderungen CRISPR/Cas-veränderter Lebensmittel an.
Er stimmte Yang zwar darin zu, dass die Herstellung
entsprechend genomeditierter Champignons nur minimale
Eingriffe in die DNA erfordert, verglichen mit konventionell
gentechnisch veränderten Organismen. »Aber es ist und
bleibt eine genetische Veränderung, und manche Leute
werden das so auslegen, als spielten wir Gott. Wie kom-
men wir aus diesem Dilemma raus?« Welche Antworten
Yang und andere Wissenschaftler darauf finden, wird mit
darüber entscheiden, ob CRISPR/Cas sich durchsetzt oder
am öffentlichen Widerstand scheitert.
Der Gradmesser einer jeden neuen Technologie ist, wie
schnell Forscher sie auf ihre eigenen wissenschaftlichen
Probleme anwenden. Demnach gehört CRISPR/Cas zu den
leistungsstärksten Verfahren, die im zurückliegenden
halben Jahrhundert Eingang in die biologische Methodik
gefunden haben. Yangs modifizierte Pilze veranschauli-
chen das auf eindrucksvolle Weise.
Yinong Yang — sein Vorname bedeutet witzigerweise
so viel wie »betreibt Landwirtschaft« — hat sich vor 2013
nie mit Pilzen beschäftigt. Geboren in Huangyan, einer
Stadt südlich von Schanghai, arbeitete er Mitte der 1990er
Jahre als Student an der University of Florida und später
der University of Arkansas mit primitiven geneditierenden
Enzymen. Er erinnert sich noch lebhaft an jene »Science«-
Ausgabe vom 17. August 2012 mit der Publikation von
Jennifer Doudna (University of California, Berkeley) und
Emmanuelle Charpentier (heute Direktorin am Max-
Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin), in dem die
beiden Forscherinnen das CRISPR/Cas-System und sein
Potenzial für das Genome Editing beschrieben. Yang war
verblüfft. Innerhalb weniger Tage arbeitete er Pläne aus,
wie man damit Eigenschaften von Reis- und Kartoffel-
pflanzen verbessern könnte. Im Sommer 2013 veröffent-
lichte seine Arbeitsgruppe ihr erstes einschlägiges Paper.
Yang war nur einer von vielen. Zeitgleich mit ihm stürz-
ten sich zahlreiche Pflanzenforscher auf die neue Metho-
de. Chinesische Wissenschaftler sorgten 2014 für Aufse-
hen, als sie demonstrierten, wie sich Brotweizen mit
CRISPR/Cas resistent gegen eine alte Plage machen lässt:
den Mehltau.
Die Revolution im Genome Editing hatte allerdings schon
Jahre vorher begonnen. Für Wissenschaftler wie Daniel F.
Voytas ist CRISPR/Cas nur das jüngste Kapitel einer langen
Entwicklung. Vor 16 Jahren versuchte er, damals an der
Iowa State University, Erbgutveränderungen mit
Zinkfingernu kleasen vorzunehmen: künstlich hergestellten
Enzymen, die DNA-Stränge an bestimmten Positionen
erkennen und schneiden können. Voytas’ erstes Genome-
Editing-Unternehmen scheiterte an Patentfragen. 2008
wechselte er an die University of Minnesota und meldete
2010 zusammen mit anderen das Patent an einem genom-
editierenden System für Pflanzen an, das auf TALENs
basierte. TALENs (transcription activator-like effector nucle-
ases, auf Deutsch transkriptions aktivatorartige Effektornuk-
leasen) sind künstliche Enzyme, die Ähnliches leisten wie
Zinkfingernukleasen. 2010 gründeten Voytas und seine
Kollegen das Unternehmen Calyxt mit Sitz in Minnesota.
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit erzeugten
die Forscher dort mit Hilfe von TALENs genetisch veränder-
te Pflanzen, die bereits in Freilandversuchen in Nord- und
Südamerika angebaut wurden. Dazu gehören modifizierte
Sojabohnen, die mehr ungesättigte Fettsäuren produzieren,
und eine Kartoffelsorte, die bei kühler Lagerung weniger zur
Bildung bestimmter Zuckerarten neigt – was sowohl bitte-
rem Geschmack entgegenwirkt als auch weniger Acrylamid
beim Braten oder Frittieren entstehen lässt.
Da diese gentechnischen Veränderungen nicht mit dem
Einbau artfremder Gene einhergingen, entschied APHIS
(Animal and Plant Health Inspection Service), die Überprü-
fungsstelle für Tier- und Pflanzengesundheit des US-Land-
wirtschaftsministeriums, dass die modifizierten Nutzpflan-
zen nicht den Regulierungen für gentechnisch veränderte
Or ganismen unterliegen. »Das Ministerium bewertete sie
so, als seien sie mit chemischen Mutagenen, Gammastrah-
len oder einer nicht genehmigungspflichtigen Methode
entstanden, und gab grünes Licht für ihren Anbau«, be-
schreibt Voytas. »Das ist für uns natürlich von großem
Vorteil und erlaubt uns, die Produktentwicklung deutlich zu
beschleunigen.«
Nutztierforscher sind ebenfalls auf den Zug aufgesprun-
gen. Wissenschaftler der kleinen Biotechfirma Recombi-
netics, die in Minnesota ansässig ist, haben bei Holstein-
rindern, den wichtigsten Arbeitstieren der Milchindustrie,
das für das Hornwachstum verantwortliche biologische
Signal genetisch ausgeschaltet. Die Forscher erreichten
das, indem sie mittels Genome Editing eine Mutation
erzeugten, die bei Aberdeenrindern natürlich vorkommt
und zur Folge hat, dass diesen keine Hörner wachsen.
Scott Fahrenkrug, Geschäftsführer von Recombinetics,
betont, dabei würden keine Fremdgene übertragen. Laut
den Wissenschaftlern ist das ein tierfreundlicher Eingriff,
denn er erspare Holsteinrindern jene fürchterliche Proze-
dur, bei der Tierhalter die Hornanlagen von Kälbern aus-
brennen oder verätzen beziehungsweise bei heranwach-
senden Tieren die Hörner heraussägen lassen – eine
Maßnahme, die das Vieh und die Landwirte vor Verletzun-
Ein Patentstreit verzögert nach
wie vor die kommerzielle Verwer-
tung des CRISPR/Cas- Systems
in der Landwirtschaft