Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

FORSCHUNG AKTUELL


PAUL-SCHERRER-INSTITUT / CLAIRE DONNELLY

BILDGEBUNG


EINBLICK INS INNERE


EINES MAGNETEN


Mit einer neuen Technik zeigen Forscher die drei-
dimensionale Anordnung der Spins innerhalb eines
Festkörpers. Die Methode könnte zum besseren
Verständnis magnetischer Werkstoffe beitragen und
den Weg zu leistungsfähigeren Datenspeichern
weisen.


Die magnetischen Eigenschaften eines Materials sind
entscheidend für zahlreiche technische Anwendungen,
insbesondere für Speichermedien. Sie hängen von den
Spins der enthaltenen Elektronen ab, also ihren quantenme-
chanischen Drehmomenten. Deren Wechselwirkungen sind
allerdings kompliziert: Der Spin ist ein Vektor und hat somit
anders als beispielsweise die Ladung nicht nur einen Betrag,
sondern zugleich eine Richtung. Das verursacht auf mikro-
skopischer Ebene verschiedenste Effekte. Sie zu verstehen
und Anordnungen von Spins möglichst genau zu untersu-
chen, ist von immenser wissenschaftlicher und technolo-
gischer Bedeutung. Nun hat die Physikerin Claire Donnelly
gemeinsam mit ihren Kollegen vom schweizerischen Paul
Scherrer Institut gezeigt, wie eine spezielle Methode der
Röntgenmikroskopie solche Einblicke ermöglichen könnte.
Heutige Datenspeicher basieren auf Effekten, die sich
auf der Oberfläche dünner magnetischer Schichten abspie-
len. Doch infolge der Miniaturisierung bei gleichzeitig stetig
wachsenden Datenmengen nimmt die Notwendigkeit zu,
den Platz in Trägermedien möglichst optimal zu nutzen –
und dazu gehört ein immer tieferes Vordringen in ihre
dritte Dimension. Der Vektorcharakter von Spins macht
deren räumliches Verhalten wesentlich schwieriger bere-
chenbar als das von einfachen Ladungsträgern. Vermutlich
warten darum im Bereich magnetischer 3-D-Bauteile viele
einzigartige Materialeigenschaften mit ganz neuen poten-
ziellen Einsatzmöglichkeiten auf ihre Entdeckung.
Dabei könnte polarisiertes Röntgenlicht eine zentrale
Rolle spielen. Es hat eine genau festgelegte Schwingungs-
richtung und eignet sich gut dazu, die Eigenschaften mag-
netischer Materialien zu untersuchen: Die Polarisierung
führt abhängig von der Ausrichtung des jeweiligen Spins zu
charakteristischen Wechselwirkungen. Röntgenstrahlung
durchdringt darüber hinaus selbst mikrometerdicke Proben
sehr gut und ermöglicht durch ihre kleine Wellenlänge eine
hohe potenzielle Auflösung – die prinzipielle Grenze für die
Bildgebung liegt bei Bruchteilen von Nanometern.
Im Lauf des letzten Jahrzehnts gelangen Forschern so
zweidimensionale Aufnahmen mit einer Auflösung von
rund zehn Nanometern. Computerprogramme setzen viele
Bilder aus unterschiedlichen Winkeln sogar zu dreidimen-
sionalen Ansichten zusammen. Diese Tomografie genann-
te Technik findet bereits breite Anwendung in der Biologie
und Materialwissenschaft.

Analog zu optischen Lasern ist eine entscheidende Ei-
genschaft von Röntgenlasern ihre Kohärenz, das heißt ein
gleich bleibender Abstand zwischen den Wellenbergen und
-tälern im Licht des Strahls. Dank ihr lassen sich mit Com-
puteralgorithmen kleinste Details der untersuchten Proben
aus den Detektorbildern berechnen. In jüngster Zeit kon-
zentrieren sich immer mehr Forscher auf hoch entwickelte
Verfahren, die aus den Aufnahmen möglichst viele Daten
über die gestreuten Photonen gewinnen. Damit wollen sie
der prinzipiellen Auflösungsgrenze im Nanometerbereich
noch näher kommen. Zu den nutzbaren Informationen
gehört nicht nur die direkt am Detektor messbare Intensi-
tät, sondern auch die unsichtbare und nur indirekt zugäng-
liche Phase der Lichtwelle, das heißt ihre wechselnde
Auslenkung an verschiedenen Punkten in der Probe. Sie
muss nachträglich schrittweise aus vielen Bildern rekon-
struiert werden. Das ist nur möglich, weil die Einzelaufnah-
men durch die Kohärenz miteinander zusammenhängen.
Sie lassen gemeinsam umso bessere Rückschlüsse auf die
innere Struktur des Objekts zu, je mehr von ihnen es gibt.

Ein Computerprogramm errechnet aus zahlreichen
Beugungsmustern eine 3-D-Karte der Spins
Der Ansatz von Donnelly und ihren Kollegen basiert auf
einer solchen iterativen Technik, der »Ptychografie«. Die
Forscher untersuchten einen zylinderförmigen, fünf Mikro-
meter dicken Magneten aus einer Gadolinium-Kobalt-
Legierung. Dazu schossen sie durch ihn einen Strahl
polarisierter Röntgenstrahlung hindurch und zeichneten
das Beugungsmuster mit einem dahinterliegenden Detek-
tor auf. Die Wissenschaftler führten Messungen an vielen
überlappenden Stellen der Probe durch und drehten diese
dabei. Anschließend kippten sie den Zylinder um 30 Grad
und wiederholten die Prozedur. Danach fütterten sie ein

Ein virtueller senkrechter Schnitt durch den fünf Mikrometer
dicken Metallzylinder zeigt die Ausrichtung der magnetischen
Momente in der Ebene.
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