Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

FORSCHUNG AKTUELL


Herstellung des Hexa methylbenzol-Dikations


So ungewöhnlich wie seine Struk-
tur ist auch die Herstellung des
Hexamethylbenzol-Dikations.
Ausgangspunkt ist die mit sechs
Methylgruppen ausgestattete
Variante des Dewarbenzols, einer
chemischen Kuriosität mit der
gleichen Summenformel wie Ben-
zol, aber anderer Struktur. Dessen
Epoxid lösten Seppelt und Ma-
lischewski in »magischer Säure«
auf, einem Gemisch aus Fluor-
schwefelsäure und Antimonpenta-
fluorid, das zu den stärksten Säuren
überhaupt gehört. Der Sauerstoff

verschwindet dadurch als O^2 – aus
dem Molekül. Es entsteht zweifach
positiv geladenes Hexamethylben-
zol, das aber nun keinen Benzolring
mehr enthält: Die Atome haben
sich spontan umgelagert. Der Stoff
bildet ein Salz mit Antimonhexaflu-
orid, dessen Kristalle bei niedrigen
Temperaturen und unter Sauerstoff-
ausschluss stabil sind.
Um zu verstehen, wie die Bin-
dung funktioniert, kann man sich
das Hexamethylbenzol-Dikation als
zusammengesetztes Molekül vor-
stellen. Einen Teil bildet dabei ein

negativ geladener Fünfring mit fünf
Methylgruppen – ein Molekül, das
man in der organischen Chemie gut
kennt und kurz als Cp* bezeichnet.
Das Cp*-Anion ähnelt dem Benzol-
ring; wie dieser trägt es sechs über
den Ring verschmierte Elektronen
und ist deswegen aromatisch. Auf
der anderen Seite steht ein Ethan-
molekül, dem an einem der beiden
Kohlenstoffatome die drei Wasser-
stoffatome samt ihrer Bindungs-
elektronenpaare fehlen, so dass es
drei positive Ladun gen aufweist.
Steckt man dieses amputierte
Molekül mit dem positiven Ende
voran senkrecht in den Ring, über-
nehmen die sechs Elektronen im
Ring die Bindung zwischen Ring
und Pyramidenspitze.

nischer Elektronenmangel. Diese Umstände ermöglichen
einen speziellen Bindungstyp, die Mehrzentrenbindung.
Darin sind die Elektronen nicht wie normalerweise in der
organischen Chemie paarweise zwischen je zwei Atomker-
nen angeordnet, sondern jedes Elektronenpaar bedient
mehrere Atombindungen gleichzeitig. In den Carboranen
sind auch Kohlenstoffatome daran beteiligt.
In konventionellen organischen Molekülen geschieht
das nicht – Kohlenstoff hat dafür eigentlich zu viele Elek-
tronen. Schon seit den 1940er Jahren vermuten Fachleute
jedoch, dass einige positiv geladene organische Verbin-
dungen diese Regel verletzen. Sie bilden demnach eben-
falls Mehrzentrenbindungen und enthalten fünf- und
sechsfach gebundene Kohlenstoffatome. Man bezeichnet
sie deswegen als nichtklassische Ionen.

Moderne Analyseverfahren beenden einen
Jahrzehnte währenden Streit
Heftiger Widerspruch kam allerdings 1961 vom späteren
Nobelpreisträger Herbert Brown, der die Vertreter der
Hypothese beschuldigte, Indizien zu ignorieren, die auf
klassische Mechanismen wie schnell wechselnde Bin-
dungen hinwiesen. Die Gegenseite, darunter George Olah,
wehrte sich. Das Ergebnis war ein – in Browns Worten –
»heiliger Krieg« um die nichtklassischen Ionen, der bis in
die 1980er Jahre hinein andauerte.
Dank immer modernerer Analyseverfahren häuften sich
hingegen zunehmend die Hinweise darauf, dass die nicht-
klassische Interpretation korrekt ist. Auf einen strengen

Beleg musste die Fachwelt jedoch noch bis 2013 warten.
In jenem Jahr wies eine Arbeitsgruppe um Ingo Krossing
von der Universität Freiburg das lange umstrittene fünfbin-
dige Kohlenstoffatom in dem so genannten Norbornyl-Kat-
ion eindeutig nach. Das Resultat habe sie inspiriert, das
Kunststück mit dem sechsfach gebundenen Kohlenstoff zu
wiederholen, schreiben Seppelt und Malischewski in ihrer
aktuellen Veröffentlichung über das Hexamethylbenzol-
Dikation.
Die beiden Wissenschaftler schließen damit nun den
Kreis zu den Carboranen, die den ersten Hinweis auf diese
untypische Bindungsform beim Kohlenstoff gaben. Denn
die Bindungssituation im pyramidenförmigen Hexamethyl-
benzol-Dikation ähnelt der in den ikosaedrischen Bor-
Clustern verblüffend. So ungewöhnlich die Chemie solcher
nichtklassischen Moleküle jedoch ist – die Oktettregel
bleibe auch beim Kohlenstoff mit sechs Bindungspartnern
streng gewahrt, betont Malischewski. Der zur Pyramide
umgelagerte Benzolring mit seiner exotischen Mehrzent-
renbindung sei aber spektakulär genug. 

Lars Fischer ist Chemiker und Redakteur bei Spektrum.de.

QUELLEN
Malischewski, M., Seppelt, K.: Die Molekülstruktur des pentago-
nal-pyramidalen Hexamethylbenzol-Dikations C 6 (CH 3 ) 6 2+ im Kristall.
In: Angewandte Chemie 129, S. 374–376, 2017
Scholz, F. et al.: Crystal Structure Determination of the Nonclassical
2-Norbornyl Cation. In: Science 341, S. 62–64, 2013

Epoxidation O »magische Säure« [SbF
6 ] 2

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: MALISCHEWSKI, M., SEPPELT, K.: DIE MOLEKÜLSTRUKTUR DES PENTAGONAL-PYRAMIDALEN HEXAMETHYLBENZOL-DIKATIONS C6(CH3)62+ IM KRISTALL. IN: ANGEWANDTE CHEMIE 129, S. 374-376, 2017, FIG. 2

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