Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1
S

eit lernfähige Computer menschliche Meister-
spieler nicht nur im Schach schlagen, sondern
neuerdings auch bei Go gewinnen und im Poker
siegreich bluffen, zeichnet sich eine Zukunft ab,
in der sie uns auf Augenhöhe gegenübertreten, zum
Beispiel als Helfer im Wissenschaftsbetrieb – und
tendenziell sogar als uns überlegene Kollegen (siehe
meinen Einwurf in Spektrum September 2017).
So ein intellektueller Wettstreit zwischen Mensch
und Maschine ließe sich durchaus als Gewinn verbu-
chen, nach der Devise: Konkurrenz belebt das For-
schungsgeschäft. Der intelligente Automat siebt riesi-
ge Datenmengen, zieht daraus selbstständig Schlüsse,
und der Mensch versucht zu verstehen, wie der elekt-
ronische Kollege darauf gekommen ist. Aus der Deu-
tung der Resultate ergeben sich neue Forschungsfra-
gen für das Mensch-Maschine-Team, und so weiter.
Lernfähige Maschinen können aber nicht nur kogni-
tive Aufgaben immer besser lösen. Kürzlich hat die

Foundation of Responsible Robotics, eine in Den Haag
ansässige Denkfabrik, die Frage untersucht, inwieweit
Roboter zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse dienen
können (http://responsiblerobotics.org/wp-content/
uploads/2017/07/FRR-Consultation-Report-Our-Sexual-
Future-with-robots_Final.pdf). Wie sich herausstellt, hat
die Entwicklung kommerzieller Sexroboter – wegen des
heiklen Themas ohne großes öffentliches Aufsehen –
schon Mitte der 1990er Jahre begonnen. Derzeit wer-
den weibliche und männliche Puppen zu Preisen zwi-
schen 5000 und 15 000 Dollar angeboten; sie besitzen
individuelle äußere Merkmale, Körpersensoren und ein
vorderhand recht bescheidenes Verhaltensrepertoire,

das sich aber durch intelligente Software in gewissen
Grenzen an den menschlichen Partner anpasst.
In Japan, wo Roboter in der Altenpflege gern als
künstliche Kuscheltiere und Betreuer eingesetzt werden,
nahm bereits 2004 ein hauptstädtisches Sexpuppen-
Bordell den Betrieb auf. Seit Kurzem gibt es die erste
europäische Einrichtung dieser Art in Barcelona. Man-
chen Prognosen zufolge wird der Amsterdamer
Rotlichtbezirk bis 2050 in größerem Stil Robotersex
anbieten.

W

ie die imposante Literaturliste der Studie
zeigt, wird das Phänomen bereits gründlich
beforscht – durch Umfragen, Interviews und
soziologische Analysen. Als unstrittig gilt,
dass der Markt für Sexroboter wachsen wird, wobei zu
den derzeit überwiegend männlichen Kunden ein
wachsender Frauenanteil hinzukommen dürfte. Völlig
uneins sind sich die Experten hingegen in der Frage,
wie Robotersex die Geschlechterrollen beeinflusst:
Wird der Mensch durch maschinelle Triebabfuhr liebe-
voller, oder überträgt sich die Verdinglichung auf den
menschlichen Partner? Das erinnert an die Debatte, ob
Gewaltdarstellung in den Medien als Aggressionsventil
friedlicher macht oder durch Vorbildwirkung gewalt-
bereiter.
Einen wichtigen Aspekt lässt die Studie ganz außer
Acht: Was wird letztlich aus der zwischenmenschli-
chen Liebe mit all ihren Beziehungsproblemen, wenn
sich jederzeit der Verkehr mit einem total anpassungs-
bereiten und körperlich idealen künstlichen Partner
anbietet? Irgendwann – wie ich vermute, bald – wird
die erste lernfähige Maschine einen emotionalen
Turing-Test bestehen. Sie wird den ohnedies zur Selbst-
täuschung bereiten Menschen vergessen lassen, dass
er es mit einem technischen Produkt zu tun hat. Wie
kann ein natürlicher Partner mit dieser perfekten
Wunschmaschine konkurrieren? Wo bleibt die Liebe in
den Zeiten der Roboter?

SPRINGERS EINWÜRFE


DIE LIEBE IN DEN ZEITEN


DER ROBOTER


Menschenähnliche Automaten verändern zahlreiche
Gewerbe – selbst das älteste der Welt. Gibt es
bald Liebes beziehungen mit intelligenten Maschinen?

Michael Springer ist Schriftsteller und Wissenschaftspublizist. Seit seiner Promotion
in theoretischer Physik pendelt er zwischen den »zwei Kulturen«.

 spektrum.de/artikel/1496895

Inwieweit können Maschinen


auch zur Befriedigung sexueller


Bedürfnisse dienen?

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