Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

IMMUNTHERAPIE


AUFTRAGSKILLER


GEGEN KREBSZELLEN


Manche Krebserkrankungen lassen sich sogar im fortgeschrittenen
Stadium noch erfolgreich behandeln. Mediziner setzen dabei auf künst-
lich veränderte Immunzellen.

Avery D. Posey (links) ist Dozent für Pathologie und Labormedizin an der
Uni versity of Pennsylvania in Philadelphia. Carl H. June (Mitte) arbeitet
an der gleichen Einrichtung als Professor für Pathologie und Labormedizin.
Bruce C. Levine ist ebenda Professor für Gentherapien gegen Krebs.
Offenlegung von Interessenkonflikten: Wie zahlreiche andere Krebsforscher
auch, stehen die Autoren in geschäftlicher Beziehung zu profitorientierten
Unternehmen. Dazu gehören Novartis, Tmunity Therapeutics und weitere
Firmen, die mit Zelltherapien und Krebsforschung befasst sind.

 spektrum.de/artikel/1496897


Eigentlich liegt der Gedanke nahe: Im Kampf gegen
Krebs sollte das Immunsystem ein mächtiger Verbün-
deter sein. Doch frühe Versuche, dies klinisch nutzbar
zu machen, endeten meist enttäuschend. Mittlerweile
kennen wir den Grund dafür – die Forscher hatten nicht
genug getan, um einen Hauptakteur des Immunsystems
zu stimulieren, nämlich die T-Lymphozyten oder kurz
T-Zellen. Wenn man sie nicht »scharfschaltet«, damit sie
Tumorzellen besser erkennen und attackieren können,
dann schickt man das Immunsystem quasi mit Papierflie-
gern und Luftgewehren in die Schlacht gegen Krebs.
Erste Hinweise, dass man die T-Zellen für diesen Kampf
beträchtlich aufrüsten muss, gab es schon in den 1980er
Jahren. Um die Immunreaktion zu verstärken, entnahmen
Wissenschaftler damals T-Zellen aus Patienten, veränder-
ten sie im Labor und gaben sie in viel größerer Zahl wieder
in den Körper des Patienten zurück. Die Behandlung half
einigen Erkrankten, doch meist hielt die Wirkung nicht
lange an: Die künstlich eingebrachten T-Zellen stellten ihre
Aktivität schon bald ein.
Um das Problem anzugehen, haben wir gemeinsam mit
anderen Forschern eine Strategie ausgearbeitet, die sich
nun in klinischen Studien als höchst vielversprechend er-
weist. Mitte der 1990er Jahre suchten wir neue Methoden
zum Behandeln von HIV-Infektionen. Damals entwickelten
zwei von uns (June und Levine) ein Prozedere, mit dem sie
T-Zellen von Patienten zahlreicher vermehren, schlagkräfti-
ger und langlebiger machen konnten, als es zuvor möglich
gewesen war. In den 2000er Jahren kam ein weiterer inno-

vativer Ansatz auf: die gentechnische Veränderung von
T-Lymphozyten, um diese zu befähigen, bestimmte Krebs-
zellen gezielt aufzuspüren und anzugreifen, vor allem
Leukämie- und Lymphomzellen. Diese Krebsarten gehen
aus weißen Blutzellen respektive deren Vorläufern hervor.
In den zurückliegenden Jahren haben Mediziner solche
synthetisch veränderten Lymphozyten namens CAR-T-
Zellen (CAR steht für »Chimeric Antigen Receptor«, siehe
Spektrum Oktober 2016, S. 32) in dutzenden Studien ge-
testet. Insgesamt waren daran beinahe 1000 Patienten mit
fortgeschrittenen Leukämien oder Lymphomen beteiligt.
Je nach Art der Erkrankung lebt heute mindestens jeder
zweite von ihnen bereits länger als zum Zeitpunkt der
Diagnose erwartet, und bei einigen hundert sind keine
Anzeichen von Krebs mehr nachweisbar.
Mittlerweile zeichnet sich immer deutlicher ab: Die Be-
handlung mit CAR-T-Zellen, ob allein oder zusammen
mit anderen Therapieverfahren, kann bestimmte Krebser-
krankungen des Blut bildenden Systems dauerhaft heilen.
Nun gilt es, die nächsten Hürden zu nehmen. Forscher
müssen klären, ob die CAR-T-Zelltherapie auch gegen an-
dere Krebsarten hilft und ob sich die zum Teil schweren
Nebenwirkungen besser kontrollieren lassen (siehe auch
Spektrum März 2017, S. 20). Aber die bisherigen Erfolge
sind ermutigend.
Als wir vor vielen Jahren den Weg einschlugen, der uns
letztlich zu den CAR-T-Zellen führte, war schon die erste
Aufgabe alles andere als einfach. Wir mussten herausfin-
den, wie man T-Lymphozyten aus Patienten dazu ertüchti-

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