Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

STRUKTURBIOLOGIE


MOLEKULARE


SCHNAPPSCHÜSSE


Mit Röntgenlasern erhalten Physiker einmalige Einblicke in
den Ablauf biochemischer Reaktionen. So beobachten sie
beispielsweise, wie Proteine ihre Form in billiardstel Sekunden
an wechselnde Umgebungsbedingungen anpassen.

Die Biochemikerin Petra Fromme ist Professorin an der US-ame rikanischen
Arizona State University (ASU) und Direktorin des dortigen Biodesign
Center for Applied Structural Discovery. John C. H. Spence ist Physikpro-
fessor an der ASU und Experte für Expe rimente mit Röntgenlasern.

 spektrum.de/artikel/1496905


Im Dezember 2009 haben Wissenschaftler in einem
unterirdischen Labor nahe Palo Alto in Kalifornien
letzte Vorbereitungen für eine Reihe ganz besonderer
Explosionen getroffen. Durch Sprengungen winziger
Proteinkristalle wollten sie eines der am besten gehüteten
Geheimnisse der Pflanzenwelt lüften: wie bei der Fotosyn-
these aus Sonnenlicht chemische Energie entsteht.
Die Geschichte spielte am kalifornischen SLAC National
Accelerator Laboratory am Röntgenlaser Linac Coherent
Light Source (LCLS). Dort werden Elektronen in einem drei
Kilometer langen Beschleunigertunnel auf nahezu Lichtge-
schwindigkeit gebracht und mit Magnetfeldern abgelenkt.
Das erzeugt intensive Röntgenblitze. Forscherteams hatten
tagelang an der Versuchsanordnung gearbeitet. Eine
Gruppe justierte Injektoren, die winzige Proteinkristalle in
einen solchen Röntgenstrahl schießen würden. Eine
andere belud die Injektoren mit frischen Kristallen eines
Proteinkomplexes namens Photosystem I, der eine Schlüs-
selfunktion in der Fotosynthese einnimmt. Schließlich
trafen die Kristalle in das energiereiche Röntgenlicht. Die
Strahlung zerfetzte die Proteine – doch zuvor gelangen den
Wissenschaftlern Schnappschüsse der atomaren Struktur.
Inzwischen untersuchen Biophysiker mit der Methode
zelluläre Vorgänge in kleinstem Maßstab und von Grund

auf neu. Dazu setzen sie rasche Folgen solcher Bilder zu
Filmen zusammen. Jedes von ihnen wurde dabei in we-
nigen Femtosekunden, also billiardstel (10–15) Sekunden
aufgenommen.
Der berühmte Physiker Richard Feynman sagte, alle
Vorgänge des Lebens könnten durch Rütteln und Wackeln
von Atomen verstanden werden. Nun endlich betrachten
wir den Tanz von Atomen und Molekülen tatsächlich in der
nötigen räumlichen und zeitlichen Auflösung. Mit dieser
so genannten seriellen Femtosekunden-Kristallografie (SFX)
haben internationale Forscherteams bereits detailliert
aufgedeckt, wie ein Arzneimittel den Blutdruck reguliert,
und so den Weg für die Entwicklung besserer Wirkstoffe
geebnet. Auch offenbarte die Technik die Struktur eines
Enzyms, das bei der von Parasiten verursachten tödlichen
afrikanischen Schlafkrankheit die roten Blutzellen zerstört,
und hat erste Einblicke in die Anfangsschritte der Foto-
synthese geliefert.
Aber zurück ins Untergrundlabor im Jahr 2009. Es stand
viel auf dem Spiel, als die ersten Pulse des Röntgenlasers
unsere mühsam herangezüchteten Proteinkristalle zer-
schlugen. Damals waren viele Wissenschaftler der Über-
zeugung, SFX könne niemals funktionieren; wir hatten
einige Mühe damit gehabt, Forschungsmittel zu beschaf-
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