Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

dadurch selbst mit einer geringen Anzahl an Beugungs-
mustern ein niedrig aufgelöstes Bild gewinnen könnten,
das als Photosystem I erkennbar wäre. Und genau dies ge-
lang uns in jenem unterirdischen Labor im Jahr 2009.
Zunächst benötigten wir für unseren Schnappschuss
Kristalle des Photosystems. Normalerweise werden hierfür
möglichst große solcher Festkörper gezüchtet, da erst
viele identische Objekte gemeinsam eine hinreichend
starke Streuung erzeugen. Bei einigen Stoffsystemen kann
es Jahre experimenteller Forschung kosten, große, präzise
geordnete Strukturen zu gewinnen. Bei manchen hat es
sich als schier unmöglich erwiesen; Photosystem I ist
eines davon.
Allerdings reichen für die SFX bereits Kristalle mit
Durchmessern von weniger als einem Mikrometer, und die
lassen sich deutlich leichter im Labor herstellen. Die
Verwendung solcher Nanokristalle hingegen war eine ganz
neue Herausforderung. Wir mussten nicht nur ein sehr
starkes Streusignal von einer derart kleinen Probe erhal-
ten, sondern auch einige grundlegende physikalische
Herausforderungen bewältigen: Wie positioniert man
Nanokristalle, die unter herkömmlichen Mikroskopen nicht
mehr zu sehen sind, im Strahl eines Röntgenlasers – und
das obendrein regelrecht am Fließband, um möglichst
viele der Lichtblitze pro Sekunde einzufangen?
Zuerst mussten wir uns neue Methoden ausdenken, um
die Nanokristalle zu erkennen. Eine davon nennt sich
SONICC (second-order nonlinear imaging of chiral crys-
tals, nichtlineare Bildgebung zweiter Ordnung von chiralen


Kristallen). Hierbei wandeln die Kristalle zwei ultrakurze
Pulse infraroten Lichts in ein grünes Photon um. So leuch-
ten die Proben wie Glühwürmchen bei Nacht.
Eine weitere Technik löst das zweite Problem und bringt
Kristalle in gleich bleibendem Tempo in den Röntgenlaser.
Einer von uns (Spence) dachte sich gemeinsam mit den
Physikern Uwe Weierstall und Bruce Doak von der Arizona
State University ein Gerät aus, das analog zu einem Laser-
drucker funktioniert und einen Flüssigkeitsstrom mit Nano-
kristallen quer durch den Röntgenstrahl schießt. Dieser
Injektor führt die Nanokristalle so exakt ein, dass sie wie
im Gänsemarsch kontinuierlich entlang einer Linie in den
Strahl gelangen.
Damit der Injektor nicht verstopft, muss die Öffnung
der Düse ausreichend weit sein, ohne jedoch den dünnen
Strom allzu sehr zu verbreitern. Weierstall erreichte dies,
indem er am Auslass rund um die Flüssigkeit zusätzlich
Heliumgas strömen ließ. Das drückte die Bahn der Kristal-
le auf einen Durchmesser zusammen, der um den Faktor
zehn kleiner war als die eigentliche Düsenöffnung.


Als wir die Geräte so weit im Griff hatten, sahen wir uns
mit dem zusätzlichen Problem konfrontiert, die enormen
Informationsmengen der Messreihen zu bewältigen. Ein
einzelnes Experiment kann bis zu 100 Terabyte an Daten
liefern und damit dutzende Festplatten eines modernen
Rechners füllen. Um die 3-D-Struktur zu ermitteln, müssen
wir Zehntausenden von Schnappschüssen obendrein die
korrekte Orientierung jedes einzelnen Kristalls zuordnen
und die Einzelaufnahmen der Fotochips (siehe Abbildung
rechts) systematisch und aufwändig miteinander verrech-
nen. Zu diesem Zweck entwickelten wir gemeinsam mit
Richard Kirian und Thomas White, beide seinerzeit in
der Arbeitsgruppe von Chapman, eine spezielle Software.
Damit konnten wir aus der Flut von Rohbildern 3-D-
Rekonstruktionen der Probe erstellen.

Die Schnappschüsse zeigen, wie Pflanzen
Wasser in Wasser- und Sauerstoff spalten
Schritt für Schritt verbesserten wir unsere Technik. Im Jahr
2014 lieferte unsere Arbeit die erste Echtzeitaufnahme des
Transfers von Elektronen zwischen zwei Hauptakteuren
der Fotosynthese, dem großen, Sonnenlicht einfangenden
Photosystem I sowie einem Protein namens Ferredoxin.
Wenn Licht auf das Photosystem I trifft, wird es in Elektro-
nen übersetzt, die Ferredoxin weitertransportiert. Sobald
Ferredoxin die Elektronen übernommen hat, lösen sich die
Proteinkristalle auf. Nur das superschnelle SFX-Verfahren
gestattet Einblicke in die raschen Strukturänderungen, die
bis dahin passieren.
Die nächste Herausforderung in dieser Forschungsrich-
tung ist ein Schwerpunkt von Petra Frommes Arbeit als
Biochemikerin: Wie verwandelt eine Pflanze allein mit Hilfe
von Sonnenlicht und den im Boden vorhandenen Metallen
Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff? Diese biologische
Spaltung ist für Wissenschaftler von größtem Interesse,
denn von ihr inspirierte technologische Prozesse könnten
sauber verbrennenden Wasserstoff als Treibstoff und
Energiespeicher liefern.
Wir haben die ersten Schnappschüsse des Prozesses an
dem hieran beteiligten Proteinkomplex 2014 zusammen-
getragen: dem Photosystem II. Trotz der noch geringen
Auflösung lieferten sie Hinweise auf die Art der zugehöri-
gen strukturellen Veränderungen. Einige Monate später
hat eine Arbeitsgruppe um Jian-Ren Shen von der japani-
schen Universität Okayama die SFX-Technik für eine noch
detailliertere Momentaufnahme eingesetzt. Als Nächstes
wollen wir hoch aufgelöste molekulare Filme erstellen, in
denen alle Phasen detailgetreu auf atomarer Ebene zu
sehen sind.
Solche Videos von chemischen Reaktionen könnten
nicht nur die Grundlagenforschung enorm bereichern,
sondern sich auch recht schnell praktisch niederschlagen
und etwa zu neuen und besseren Arzneimitteln führen.
Wir erkannten dieses Potenzial, als wir an Angiotensin-II-
Rezeptorblockern (ARB) forschten. Diese Arzneimittel
sollen verhindern, dass das Hormon Angiotensin II an
seinen zellulären Rezeptor andockt und dadurch die
Gefäße verengt. ARB werden zur Behandlung von Blut-
hochdruck verordnet, einer der Hauptursachen von

Um die 3-D-Struktur zu ermitteln,


müssen wir Zehntausende


von Einzelaufnahmen aufwändig


miteinander verrechnen

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