Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

gangsstück abgetrennt und sie nur selten weiterbear­
beitet.
Die »Sumatralithen« gehören zu den wenigen Ausnah­
men. Hierbei handelt es sich um Steine von ovaler bis
rundlicher Form mit einer flachen Unterseite. Die Kanten
wurden rundum oder zumindest partiell retuschiert. Kurz­
beile fertigte man durch einfaches Spalten von Steinen;
die dabei entstandene Fläche hat man ebenfalls retu­
schiert. Die dritte Klasse bilden Stücke, die Faustkeilen,
also an einem Ende spitz zulaufenden, beidseitig retu­
schierten Werkzeugen ähneln, aber deutlich gröber wir­
ken. Alle diese Artefakte eignen sich sehr gut zum Bear­
beiten von Holz. Tatsächlich ergaben mikroskopische
Analysen von Gebrauchsspuren, insbesondere der Art und
Weise, wie die Schneiden aussplitterten, dass die »Faust­
keile« zum Hacken, Raspeln, Polieren, Schleifen und
Abspanen von Holz und Bambus verwendet wurden. Als
Pick bezeichnen Archäologen schließlich den vierten Typ:
ein spitzes, mandelförmiges bis annähernd dreieckiges
Werkzeug. Vermutlich dienten Picks zum groben Zerschla­
gen von Holz und Knochen.
Bis auf diese Sonderfälle lassen sich bei den Steinwerk­
zeugen aber keine speziellen Designs erkennen. Entweder
machte sich niemand die Mühe, sie zu verbessern, oder
das Wissen um eine Innovation wurde nicht an die nächs­
te Generation weitergegeben. Das Material – Stein – und
der Zweck – Zerteilen, Zertrümmern und Schaben – genü­
gen bereits, um die Form der Geräte zu erklären.


Noch simplere Steinwerkzeuge: Stammen sie wirklich
von einer noch etwas älteren Industrie?
Offenbar zeigen die aufgefundenen Steinwerkzeuge ledig­
lich eine bestimmte technische Komponente einer bisher
nicht genauer zu fassenden Wildbeutergesellschaft. Daher
vermeiden es Experten, das Hoabinhian als Kultur zu
bezeichnen. Wie auf einem Kongress 1994 in Hanoi vorge­
schlagen, hat sich stattdessen der Begriff »Industrie« für
diese leicht unterschiedlichen Fundinventare durchgesetzt.
Gleiches gilt für die vorausgehende und die nachfolgende
Entwicklungsstufe. In Vietnam wurde nämlich neben den
Steinwerkzeugen des Hoabinhian in manchen Höhlen und
bei archäologischen Geländebegehungen eine noch primi­
tiver wirkende Steinwerkzeugindustrie entdeckt, das nach
ihrem ersten Fundort benannte Sonvian. Kleine nicht
weiter bearbeitete Abschläge und nur auf einer Seite
retuschierte zerschlagene Kiesel oder Gerölle kennzeich­
nen diese Industrie, die keine Typen wie Sumatralith,
Kurzbeil oder Pick kannte. Weil die Höhlenfunde aus
Schichten dicht unter denen des Hoabinhian stammen,
sehen vor allem vietnamesische Archäologen darin die
Hinterlassenschaften einer etwas älteren Industrie.
Allerdings könnte die Verbreitung in dessen Bereich
oder zumindest direkten Umfeld darauf hindeuten, dass
es sich lediglich um eine bestimmte Variante des Hoabin­
hian handelt. Als Erklärung bieten sich spezifische Akti­
vitäten an. Auf ihren Wanderungen schlugen die Jäger
und Sammler demnach bei Bedarf Geröll rasch zurecht,
um beispielsweise eine Schlafstelle aus Bambus zu bauen.
Erst wo man längere Zeit blieb, lohnte sich die Mühe,


etwas aufwändigere Werkzeuge zu fertigen wie die be­
schriebenen Hoabinhian­Geräte: Mit Kurzbeilen hat man
beispielsweise Holzgeräte geglättet oder geschnitzt, mit
den Faustkeilartigen und den Sumatralithen junge Bäume
und Bambus gefällt. An einigen Fundplätzen wurden so
stark zertrümmerte Tierknochen entdeckt, dass die Annah­
me naheliegt: Sie wurden mit Picks bearbeitet, um kleine
Fleischportionen zu gewinnen, die man in Bambusgefäßen

–40m

heute

–80m

Sonvian

12 000 v. Chr. 8000 4000

Hoabinhian

Meeresspiegelhöhe

Bacsonian

Tam-Pa-
Ling-Höhle

Hanoi

Ho-Chi-Minh-Stadt

Laang-Spean-
Höhle

Spirit-Höhle

Xiaodong-
Höhle

Nui Cam Tiem

Bau Du

Con Moong

Hoa Binh
Du Sang

Hang Cho

Xom Trai

Son Vi

Bac Son

Hang Boi

THAILAND

KAMBODSCHA

LAOS

VIETNAM

CHINA

MYANMAR

Staatsgrenzen heute
heutige Städte
Bacsonian
Sonvian
Hoabinhian
Höhle

Golf von
Tongking

Sunda-
Schelf

N

200 km

Roter Fluss

Mekong

Südostasien mit den landfesten Teilen des Sunda-Schelfs
und der Lage der wichtigsten steinzeitlichen Fundstellen.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / EMDE-GRAFIK
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