Antike Welt - Nr5 2017

(Elliott) #1
ANTIKE WELT 5/

TITELTHEMA

die Eintracht und die Dauerhaftigkeit
der kaiserlichen Familie.


Die Gemma Tiberiana
Mit einer Höhe von 31 cm und einer
Breite von 26,5 cm ist die Gemma
Tiberiana ‒ auch Grand Camée de
France genannt ‒ der größte erhaltene
antike Kameo ȋAbb. ͵Ȍ. Sein Verständ­
nis ist bis heute umstritten, die beiden
letzten umfangreichen Interpretatio­
nen stammen von Luca Giuliani und
Christine (einlein. Der Kameo ist in
drei horizontale Bildfelder gegliedert.
Im Zentrum des mittleren Bildfeldes
sitzt als zentrale Person Kaiser Tibe­
rius ȋAbb. Ͷ, Nr. ͳȌ mit Langzepter und
nacktem Oberkörper, ähnlich wie Au­
gustus auf der Gemma Augustea dem
Iupiter angeglichen und mit dem Li­
tuus in der Rechten. Neben ihm sitzt
seine Mutter Livia ȋNr. ʹ; vgl. Abb. ͷȌ.
In dem Feld darüber sind drei verstor­
bene Mitglieder der kaiserlichen Fami­
lie dargestellt: In der Mitte, mit Zepter
und Strahlenkrone als Zeichen seiner
Divinisierung, Augustus ȋNr. ͳͲȌ, links
Drusus d. J. ȋNr. ͳʹȌ, der leibliche Sohn
des Tiberius, rechts, auf dem geflügel­


ten Pferd Pegasus reitend, das von ei­
nem kleinen Amor ȋNr. ͳͶȌ an den Zü­
geln gehalten wird, sein Adoptivsohn
Germanicus ȋNr. ͳͳȌ. Da Drusus d. J.
ʹ͵ n. Chr. gestorben ist, andererseits
die ʹͻ n. Chr. verstorbene Livia noch
als Lebende erscheint, ergibt sich eine
Datierung für die auf dem Kameo dar­
gestellte Szenerie zwischen ʹ͵ und ʹͻ
n. Chr. Bei den drei übrigen männli­
chen Mitgliedern der domus Augusta
im mittleren Bildfeld in militärischer
Rüstung handelt es sich um die drei
Germanicussöhne Nero ȋNr. ͵Ȍ, der
gerade seinen Helm aufsetzt, Drusus
ȋNr. ͷȌ, der ein Tropaion trägt, und
den späteren Kaiser Caligula ȋNr. ͹Ȍ.
Im unteren Bildfeld sind unterwor­
fene Barbaren nordischen und östli­
chen Typs zu sehen, die die Sieghaf­
tigkeit und militärische Tüchtigkeit
(virtusȌ des Kaisers und seiner Fami­
lie versinnbildlichen sollen.
Der Kameo bezieht sich auf die Neu­
regelung der Nachfolge des Tiberius,
die nach dem unerwarteten Tod von
Drusus d. J. im Jahre ʹ͵ n. Chr. nötig
wurde. Da Claudius nach wie vor nicht
als regierungsfähig angesehen wurde,

waren innerhalb der domus Augusta
die beiden ältesten Söhne des Germa­
nicus die nächsten, die dafür in Frage
kamen. Nachdem Tiberius nach dem
Tod seines Sohnes zunächst signali­
siert hatte, dass die beiden die neuen
präsumptiven Nachfolger werden soll­
ten, kam es rasch zu Spannungen in
der wichtigen Nachfolgefrage und Re­
lativierungen ihrer künftigen Rolle
durch Tiberius, unter anderem weil
ihm die politischen Ambitionen seiner
Schwiegertochter Agrippina d. Ä., der
Mutter von Nero und Drusus, zu weit
gingen. Diese Konflikte eskalierten
in den nächsten Jahren und führten
zur Verurteilung und Verbannung zu­
nächst von Agrippina d. Ä. und Nero,
wenig später wurde dann auch Dru­
sus als Staatsfeind verurteilt.

Neuere IŶterpretaioŶeŶ des
Kameos
Giuliani verortet die Auftraggeber des
Kameos unter den Anhängern Agrippi­
nas und ihrer Söhne. In der schweben­
den Gestalt mit der die Weltherrschaft
symbolisierenden Kugel unterhalb von
Augustus erkennt er Iulus­Ascanius

Abb. ͷ Stark vereinfachtes Stemma der Familie des Tiberius im Jahr ʹ͵ n. Chr.; Personen, die sicher oder vermutlich auf der Gemma Tiberiana abge­
bildet sind, sind unterstrichen.


AUGUSTUS ȋ† ͳͶ n. Chr.Ȍ ∞ Livia


)ulia ȋ† ͳͶ n. Chr.Ȍ Drusus d. Ä. ȋ† ͻ v. Chr.Ȍ TIBERIUS


Agrippina d. Ä. ∞ Germanicus ȋ† ͳͻ n. Chr.Ȍ CLAUD)US Livilla ∞ Drusus d. J. ȋ† ʹ͵ n. Chr.Ȍ


adopt. Ͷ n. Chr.

adopt. Ͷ n. Chr.

Agrippina d. J. CAL)GULA Drusus Nero ∞ )ulia Tiberius Germanicus Gemellus
Gemellus ȋ† ʹ͵ n. Chr.Ȍ


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